Das schwache, starke Geschlecht

Kinder lernen vor allem durch Vorbilder. Und wenn wir ehrlich sind, ist es ja so: Auch wir Großen lernen noch wahnsinnig dadurch. Deswegen finde ich z.B. Diskussionen darüber, dass an öffentlichen Orten (z.B. Ämtern oder Schulen) mehr Bilder von weiblichen Berühmtheiten hängen sollten, sehr sinnvoll. Denn wenn immer nur männliche Altkanzler, Kriegsherren und Gelehrte ausgestellt werden, ist für Jungs und Mädchen, Männer und Frauen gleichermaßen klar: Nur als Mann kann ich Großes erreichen! Dabei gibt es sie ja, die Frauen, die aufgrund großer Taten und großer Klugheit in die Geschichte eingegangen sind! Man müsste sie nur sichtbar machen – und dann würden sich auch viel mehr Mädchen und Frauen trauen, große Pläne zu schmieden.

Ich finde diesen Ansatz grundsätzlich total richtig. Wichtige Frauen bleiben nach wie vor viel zu unsichtbar und sollten deutlich auf eine Stufe mit den vielen wichtigen Männern gestellt werden. Wenn es um historische Persönlichkeiten geht, lässt sich aber eines kaum ignorieren: Es ist einfach ein Fakt, dass es in der Vergangenheit deutlich mehr Männer gab, die Großes geschaffen haben, als Frauen.

Und ganz ehrlich: Seit ich selbst Mutter bin, kann ich das total verstehen. Ich habe in den vergangenen fünf Jahren zwei Schwangerschaften durchgemacht (mehr schlecht als recht), zwei Geburten überlebt (zum Glück sehr gut), zwei Stillzeiten standgehalten (die zweite läuft noch). Und das war ja wirklich noch keine Höchstleistung: Zwei Kinder in fünf Jahren – so manche bereits verstorbene Frau dreht sich da vor Lachen im Grabe um!

Dauerschwanger und dauergebeutelt

Dazu eine kleine Anekdote: Bei unserem Umzug fanden wir Aufzeichnungen der Großeltern väterlicherseits (genauer vom Oppa vom Mann). Das sollte wohl mal so eine Art Familienchronik werden. Darin enthalten waren detaillierte Listen über alle geborenen Familienmitglieder. Die Mutter vom Oppa, also die Uroma des Mannes, hatte in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts runde 10 Kinder geboren. Das allein nötigte mir schon einen gehörigen Respekt ab. Aber es kommt noch krasser: Erst das vierte Kind überlebte. Von den ersten drei Kindern schaffte es keines über das erste Lebensjahr hinaus. Das vierte packte es. Das fünfte wieder nicht. Danach hatte die Uroma einen Run und drei Kinder schafften es bis ins Erwachsenenalter (und leben teils auch jetzt noch). Eins machte wieder schlapp und das zehnte erfreut sich bis heute bester Gesundheit.

Wenn wir zu diesem wahnwitzigen biologischen Output noch etliche Fehlgeburten addieren, die natürlicherweise vorkommen, war die Uroma meines Mannes vermutlich so gut wie durchgängig schwanger. Und hatte alle paar Jahre krasse Schicksalsschläge zu verkraften, wenn die Masern oder die Schwindsucht mal wieder eines ihrer Babys dahingerafft hatten. Selbst angenommen, diese Frau hätte besondere Talente gehabt oder wäre in ihrer Jugend irgendwie besonders gefördert worden: Woher hätte sie in ihrem fruchtbaren Erwachsenenalter die Zeit oder gar die Kraft zu herausragenden Leistungen nehmen sollen?

Die menschlichen Ressourcen sind begrenzt

Und ich finde, niemand dürfte es dieser Frau vorhalten, neben ihren zehn plus x Schwangerschaften und fünf durchgebrachten Kindern nicht noch parallel eine Karriere als hoffnungsvolle Pianistin, Literatin, Physikerin oder Entdeckerin gestartet zu haben. Die Ressourcen eines menschlichen Individuums sind nun mal begrenzt. Und so ein Leben als ständig schwangere Frau und Mutter frisst einfach verdammt viele Ressourcen, bzw. erstickt sie sogar im Keim.

Natürlich kann ich vor allem für mich sprechen, aber mich haben beide Schwangerschaften jedes Mal extrem mitgenommen. Ich war ein energieloser Abklatsch meiner selbst, müde, schlecht gelaunt, schwerfällig. Nach einer Geburt braucht der weibliche Körper Wochen zur Regeneration. Und dass die „Stilldemenz“ kein Mythos ist, wissen alle Frauen, die sie selbst erlebt haben.

Wenn ich mir überlege, ich müsste diesen Zustand dauerhaft ertragen, kann ich ehrlich mutmaßen: Ich wäre für keinen Job mehr zu gebrauchen! Und schon gar nicht für herausragende Leistungen. Niemand würde mein Porträt in ein Bürgeramt hängen wollen (das will auch jetzt niemand, aber wir tun jetzt mal so, als wäre das theoretisch später noch möglich), weil ich neben Schwangerschaften, Geburten und Kinder umsorgen eben einfach zu nichts anderem mehr Zeit oder Kraft hätte. Und fürs Kinder Austragen oder Großziehen kriegt in unserer Gesellschaft nun mal leider niemand einen Orden verliehen (also zumindest nach 1945 nicht mehr und in dem Zusammenhang finde ich das dann auch ganz gut so).

Historisch bedeutsame Frauen hatten keine oder wenige Kinder

Insofern ist es echt kein Zufall, dass die meisten berühmten weiblichen Persönlichkeiten, deren Porträts vielleicht doch in dem einen oder anderen Amt hängen könnten, keine oder für ihre Epoche unüblich wenige Kinder bekommen haben. Ich habe da mal eine (sicher nicht repräsentative, dafür chronologisch sortierte) Liste zusammengestellt:

Hildegard von Bingen (1098 – 1179): Universalgelehrte, als Benediktinerin leider oder zum Glück auf Lebzeit im Kloster, daher keine Kinder.

Jeanne d’Arc (1412 – 1432) : Kriegsherrin und französische Nationalheldin. Fühlte sich eher Gott zugeneigt als den weltlichen Männern. Natürlich keine Kinder (starb zudem sehr jung).

Ada Lovelace (1815 – 1852): Mathematikerin, gilt als Begründerin der Programmiersprache. Bedauerte öffentlich, aufgrund ihrer drei Kinder nicht mehr Zeit für Musik und Mathematik zu haben.

Marie Curie (1867 – 1934): Mehrfache Nobelpreisträgerin und Entdeckerin der Radioaktivität. Zwei Töchter, die ihre Leidenschaft für die Wissenschaft teilten.

Rosa Luxemburg (1871 – 1919): Marxistin und, wie man heute vielleicht sagen würde, politische Influencerin. Scheinehe mit einem Deutschen, um mit deutscher Staatsbürgerschaft in der hiesigen Arbeiterbewegung mitarbeiten zu können. Keine Kinder.

Coco Chanel (1883 – 1971): Modedesignerin und erfolgreiche Unternehmerin, Vorreiterin für bequeme und praktische Frauenmode. Hang zur Promiskuität, keine Kinder.

Marlene Dietrich (1901 – 1992): Schauspielerin und Sängerin, sehr problematische Mutter-Tochter-Beziehung zu ihrer einzigen Tochter Maria Riva.

Édith Piaf (1915 – 1963): Sängerin, eine Tochter, die bei ihrem Vater aufwuchs und im Kindesalter verstarb. Später lebenslanger Liebeskummer, da ihre große Liebe Marcel Cerdan bei einem Flugzeugabsturz verstarb.

Margaret Thatcher (1925 – 2013) : Ehem. britische Premierministerin. Drei Kinder, zwei davon Zwillinge. Gilt auch in Bezug auf ihre Kinder als „eiserne Lady“.

Angela Merkel (*1954): Deutsche Bundeskanzlerin, keine Kinder. Blamiert sich regelmäßig in Sendungen des Kinderkanals dabei, wie sie versucht, Ruhe ins minderjährige Publikum zu bringen.

Ich möchte überhaupt nicht daran denken, wie viel weibliches Potential nicht genutzt werden konnte, weil sich anstatt keiner oder nur weniger Kinder satte fünf bis 15 ankündigten. Eine die Fruchtbarkeit hemmende Schilddrüsenunterfunktion war früher vermutlich so etwas wie ein Segen Gottes – immerhin war frau dann nicht mehr dauerschwanger!

Mütterliche Ideale werden überhöht – aber nicht belohnt

Interessant ist übrigens, dass dieses ungenutzte Potential (denn Frauen sind, wie wir alle wissen, nun mal nicht per se weniger klug oder leistungsfähig als Männer) bis heute nicht betrauert wird. Stattdessen nehme ich nach wie vor eine Überhöhung der mütterlichen Ideale wahr – und Frauen, die diese nicht erfüllen, werden öffentlich kritisiert. So heißt es in einem Artikel über die frühere britische Premierministerin:

„Den Namen „Eiserne Lady“ trug Thatcher, die von 1979 bis 1990 Premierministerin war, stets als Ehrentitel, selbst ihre Gegner preisen (heute) ihren Mut und ihre Entschlossenheit. Die Kinder waren da nur im Weg. Mit acht Jahren wurden sie ins Internat geschickt, wo Mark sich als ziemlicher Versager erwies.“

Anstatt sie dafür zu loben, trotz ihrer steilen Karriere auch noch die Strapazen von Schwangerschaft und Geburt auf sich genommen zu haben, wird die gute alte Maggie dafür abgekanzelt, ihre Kinder im Stich gelassen zu haben. An anderer Stelle habe ich übrigens gelesen, dass Maggies Ehemann immer sehr gut für die Kinder gesorgt haben soll. Na also, denke ich, so funktioniert es doch bis heute in den meisten Ehen – nur rollenverkehrt. Was genau soll daran nun falsch sein?

Wenn Frauen ein Kind nach dem anderen werfen, ist das also toll und gesellschaftlich angesehen (solange sie sich auch drum kümmern). Trotzdem hängt keiner ihre Porträts in Ämter und Schulen. So toll scheint diese Leistung also auch wieder nicht zu sein. Ich finde ja, dass da ein Umdenken stattfinden sollte: Warum hängen wir neben die großartige und kinderlose Rosa Luxemburg nicht eine ihrer unbekannten Zeitgenossinnen? Das Porträt einer Frau zum Beispiel, die zehn Kinder geboren und ihr Leben der Fortpflanzung und Aufzucht ihrer Nachkommen verschrieben hat. Vielleicht hat sie das gar nicht freiwillig getan, sondern weil die Biologie ihren Tribut zollte (Das Thema der weiblichen Unterdrückung, die ja auch eine starke sexuelle Komponente hat, spare ich in diesem Text mal bewusst aus. Das wäre noch mal ein ganz eigenes, natürlich nicht minder wichtigtes Thema). Vielleicht war sie aber auch nicht die Hellste und hätte ohnehin nichts anderes machen mögen oder können. Trotzdem hat sie in ihrem Leben außerordentliche Anstrengungen bewältigt.

Hochleistungskörper Frau

Das zumindest ist mir klar, seit ich selbst Mutter bin. Schwanger sein, Gebären, Stillen, Kinder Großziehen, Erziehen, Trösten, zum Einschlafen bringen, gesundes Essen Kochen – und in der heutigen Zeit meistens parallel noch Arbeiten, mit Kunden telefonieren, in Meetings sitzen, Kollegen zuhören, Konzepte entwickeln: Das alles ist ein riesiger Kraftakt, für den wir unseren Körper häufiger loben sollten.

Wenn wir es uns recht überlegen, leisten wir Frauen nämlich Wahnwitziges. Unsere Körper machen Anstrengungen durch, die sich so mancher Hobby-Bodybuilder nicht einmal in seinen kühnsten Träumen ausmalen könnte. Ich bin sicher keine Person, die dazu neigt, biologistische Merkmale zu glorifizieren oder allein die Mutterschaft als durch und durch weibliche Leistung anzuerkennen. Trotzdem kann ich mit meiner Erfahrung sagen: Das ist schon was!

Heute verstehe ich viel besser, warum so viele Frauen regelmäßig am Rande ihrer Kräfte sind. Ich kann nachvollziehen, warum geschichtlich betrachtet so wenige Frauen „große“ Leistungen erbracht haben. Und ich kann akzeptieren, wenn Frauen sagen „Das schaffe ich aber nicht auch noch“. Klar, es gibt diese Frauen, die in der Schwangerschaft vor Energie zu sprühen scheinen, die eine Geburt mit links meistern und in der Kindererziehung ihre Erfüllung finden. Die Wahrheit ist aber wohl, dass das den Großteil der Frauen ganz schön mitnimmt.

Wir sind das schwache Geschlecht. Aber vor allem das starke!

Was ich sagen will: Es stimmt, wir Frauen sind tatsächlich „das schwache Geschlecht“. Schwangerschaften und Geburten machen uns angreifbar und mehr als das: Sie greifen unsere Körper real an, schwächen uns physisch und allzu oft auch psychisch. Aber genau das macht uns auch so besonders stark! Wir sind das Geschlecht, das das alles aushält! Das mit jeder Geburt über sich selbst hinauswächst, ungeahnte Kräfte mobilisiert und immer wieder auf den Punkt abliefert. Unsere Körper sind die wahren Helden! Wir sind das schwache, starke Geschlecht. Und das dürfen wir zugeben und feiern zugleich.

Zum Glück leben wir heute zudem eine Selbstbestimmtheit, von der Ada Lovelace und Co. nur träumen konnte. Wir kontrollieren unsere Empfängnis, sind medizinisch und nahrungsmitteltechnisch sehr gut versorgt, nehmen auch die Väter unserer Kinder in die Pflicht und können unser weibliches Leben heute sehr viel besser beeinflussen als frühere Generationen das konnten. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass sich nach und nach mehr Frauenbilder in Porträtreihen einfügen werden. Und wenn dabei die ein oder andere Quote behilflich sein kann, dann denke ich: Warum nicht? Denn die Differenzen zwischen den Geschlechtern bestehen heute allzu oft nur noch in den Köpfen. Möglich ist heute alles. Erst recht wenn man diese besondere Stärke besitzt – die Stärke einer Frau.

3 Kommentare zu „Das schwache, starke Geschlecht

  1. Teresa

    Mal wieder ein super Artikel. (Ich mag deinen Blog sooo sehr… Muss ja auch mal gesagt werden.)
    Unsere Körper leisten wirklich großartiges. Ich bin grad zum zweiten Mal in drei Jahren schwanger. Und dadurch, dass ich meine Tochter unerwartet lang gestillt habe, ging quasi Stillzeit direkt ineinander in Schwangerschaft über und dazwischen hatte ich nur zwei mal meine Tage… Schwuppsdiwupp war Nummer 2 da. Und ich bin unglaublich stolz darauf, was mein Körper da leistet.
    Aber auch außerhalb von Schwangerschaft und Stillzeit sind ja viele von uns durch die monatlichen Hormonschwankungen ganz schön gebeutelt und sollen trotzdem jeden Tag die gleiche Leistung bringen. Eine Freundin hat mir vor kurzem von einem Artikel erzählt, in dem es darum ging, dass unsere Arbeitswelt viel zu sehr auf Männer ausgerichtet ist, auch was die Erwartung an die tägliche Leistungsfähigkeit angeht. Die hormonbedingten Schwankungen bei Frauen – ich hab das zumindest immer sehr stark gemerkt – werden da eigentlich nicht toleriert. Und ich finde, dass ist so wahr.
    Wenn man berücksichtigt, was unsere Körper normal, in Schwangerschaft und Stillzeit alles leisten und wie wir damit umgehen, ist „schwaches“ Geschlecht wirklich der falsche Ausdruck.

  2. Anja

    Ein super toller Artikel. Ja wir Frauen werden oft unterschätzt und unsere Körper leisten unendliches. Wir sind einfach wahre „Superheldinnen“, unser Körper und Geist. Verrückt finde ich zu lesen, dass „erfolgreiche“ Frauen der Historie nicht viele Kinder hatten, irgendwie habe ich mir noch nie Gedanken darüber gemacht aber ich finde es total klasse, dass du das so aufgelistet hast. Ich habe meinen letzten Blogbeitrag über die Persönlichkeit geschrieben, Persönlichkeit die unseren Kindern in dieser Gesellschaft oft genommen wird aber auch wir Frauen werden oft „vergessen“. Falls dieser dich interessiert findest du den unter http://wordpress.twins-and-more.de/2018/01/27/die-zeit-ruft-nach-persoenlichkeiten-aber-sie-wird-vergebens-rufen/

  3. Hannah

    Oh, das ist so zutreffend. Ich meinte auch zu meinen Schwestern letztens, mit der Schwangerschaft habe ich verstanden, warum Frauen in der Geschichte immer unterdrückt wurden. Was mich betrifft, hätte ich in meinem Zustand (und der war außerordendlich gut!!) wenig Widerstand geleistet.
    Danke für die Hintergrundrecherche dazu 🙂

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