Wintermüde

Heute geht es mal nicht ums Hübchen oder ums Familienleben und Mutter-sein. Dem Hübchen geht es nämlich prima. Er liebt seine Kita, spielt mit seinen Freunden, fällt nachmittags in einen komatösen Mittagsschlaf und ist danach wieder aufgelegt zu neuen Taten. Jahreszeiten gehen an dem Kind vorbei, als wäre gar nichts. Warm, kalt, so mittel – alles egal. Läbbe geht weida. Nur ich tue mich damit so schwer.

Es ist kalt draußen, eisekalt. Und ich wäre jetzt gerne ein dicker Braunbär, ein Murmeltier, ein Eichhörnchen oder irgendein anderes dieser klugen Geschöpfe, die sich in der kalten Jahreszeit einfach in ihren Bau zurückziehen, in ihr Fell einmummeln und allerhöchstens mal für ein paar Nüsschen herauskrabbeln – aber auch nur, wenn es gar nicht anders geht. Meiner Meinung nach hat die Spezies Mensch ein gehöriges Problem, weil sie gezwungen ist, auch den Winter über zu funktionieren.

Ich bin überaus dankbar für unsere ganzen zivilisatorischen Errungenschaften: Dick gefütterte Stiefel, warm-wattierte Wintermäntel, Thermo-Strumpfhosen und Socken aus echter Schurwolle sind geniale Erfindungen. Allein: es reicht nicht! Sobald das Thermometer unter 5°C fällt, friere ich innerlich zu. Es ist wie eine Kälte-Starre, die über mich kommt und mich innerlich und äußerlich lähmt. Selbst wenn die Sonne scheint, was sie immerhin dieser Tage tut, mag ich nicht rausgehen. Es ist mir einfach zu kalt.

Mein Körper funktioniert nicht bei Kälte. Ich erwäge mittlerweile eine Verwandtschaft mit unseren wechselwarmen Freunden, den Eidechsen. Irgendwie läuft mein Körper anders als der meiner Mitmenschen. Auf dem Laternenumzug schlottere ich nach wenigen Minuten, während andere nicht mal ihre Jacke zugeknöpft haben. Wenn der erste Schnee fällt, ist das für mich ein Grund, mich in Windeseile unter der Bettdecke zu verkriechen, während die anderen fröhlich Schneemänner bauen. Ohne Handschuhe!!

Auf Sparflamme

Mein gesamter physischer Apparat läuft in den kalten Monaten auf Sparflamme – und meine Psyche leider ebenso. Die Dunkelheit ist mein winterlicher Endgegner und am liebsten würde ich alle Termine nach 16 Uhr absagen. „Sorry, ist schon dunkel, ich muss ins Bett. Ruf im Frühling noch mal an!“. Denn immerhin darauf ist Verlass: Mit den ersten warmen Sonnenstrahlen (ich lasse auch die gelten, die nur so ein klitzekleines bisschen wärmen) werde ich wieder wach und fühle mich plötzlich wieder völlig normal.

Spätestens an meinem Geburtstag im April ist es dann, als wäre nie etwas gewesen. Mit den Jahreszeiten ist es nämlich so wie mit den Geburten: Nach einer Weile vergisst man, wie schlimm es war. Ich freue mich daher manchmal sogar über bunte Herbstblätter und kühlere Temperaturen. Aber dann wird es wieder kalt und mir wird klar: Es fängt wieder von vorne an. Es wird immer wieder von vorne anfangen.

Frankreich!

Das körperlich angenehmste Jahr meines Lebens habe ich deswegen in Bordeaux verbracht, als ich dort zwei Semester studiert habe. Das war einfach herrlich: Es regnete zwar viel, aber die Temperaturen sanken nur selten unter 10°C. Als es einmal schneite, fuhr ich gewissenhaft trotzdem mit dem Fahrrad zur Uni (die Tram hatte ihren Dienst vorsorglich eingestellt). Um dort festzustellen, dass ich neben ein paar anderen versprengten Erasmus-Studenten aus nordischen Gefilden die einzige war, die sich in diesem Schnee-Chaos zur Uni getraut hatte. Kein Professor fährt bei einer solchen Witterung sein Auto aus der Garage! Es lagen immerhin knappe 3 Zentimeter frischer Neuschnee!

Diese Einstellung war genau mein Ding. Morgens hatte es sogar Minusgrade! Und da sollte wirklich niemand gezwungen werden, sein Haus zu verlassen! Ich steuerte meinen treuen Drahtesel also wieder nach Hause, kochte mir einen warmen Kakao und wartete in aller Ruhe die nächsten 24 Stunden ab, bis es wieder angenehmere 7°C Außentemperatur hatte und der gefährliche Tiefschnee geschmolzen war.

Wenn Marine Le Pen nächstes Jahr französische Präsidentin wird, werde ich die Gedanken erstmal um fünf Jahre aufschieben. Aber jetzt gerade, in meiner Winterstimmung, denke ich oft daran, wie ein Leben in einem angenehmeren Klima sein könnte. Natürlich ohne an alle dazukommenden Herausforderungen oder Probleme zu denken. Mir geht es erstmal nur ums Wetter – und um ein Leben ohne Kältestarre.

3 Kommentare zu „Wintermüde

  1. Katinka

    Hey, ich muss lachen. Mir geht es wie Dir. Deshalb lebe ich seit nunmehr fast 14 Jahren in Südfrankreich. Erst war ich 5 Jahre in Nizza, dann 7 Jahre in Bordeaux und seit fast 1 Jahr nochmal 120 km südlich von Bordeaux an der Atlantikküste, quasi auf dem Weg nach Biarritz und San Sébastian. Du hast Bordeaux übrigens ganz super beschrieben.

    • Dann passen wir wohl gut zusammen. 😉 Ich habe auch mal in Nizza gelebt, aber nur einige Monate. Da hat’s mir nicht gefallen. Zuzusehen, wie die Reichen am Meer Prosecco schlürfen, während die Armen nach 19 Uhr die Container der Supermärkte durchwühlen, hat mich ganz schön mitgenommen.

      In Bordeaux habe ich mich wohl gefühlt, ja, das war schön. Was hat euch denn nach Frankreich vertrieben? War’s nur das Wetter? 😉

  2. Bei mir ist es nicht zwangsläufig die Kälte, eher das es gefühlt immer, aber auch wirklich immer dunkel und kalt ist. Also natürlich ist es das nicht immer. Aber mir fehlen mehr Sonnenstunden und da beginnt dann schnell der Wunsch Sack, Pack und Familie auf eine Insel zu verschleppen 😉
    Liebe Grüße

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