Von Selbstvorwürfen und anderem Unsinn

Morgen wird das Hübchen ein Kitakind. Ich erspare euch jetzt mal jegliche Plattitüden von wegen „Sie werden ja so schnell groß“, denn dass ich so etwas momentan tatsächlich häufig denke, ist euch vermutlich sowieso klar – zumindest sofern ihr selbst Kinder habt, die jenseits des ersten Lebensjahres sind. Aber verrückt ist es schon, dass jetzt die Kita ruft, und ich bin ein bisschen aufgeregt, wie mein kleiner Junge die große und aufregende Kita so verpacken wird.

Und dass ich mir tatsächlich Sorgen darüber mache, ist ein höchst merkwürdiger Zustand. Denn eigentlich war ich immer absolut tiefenentspannt, was die Eingewöhnung in Gruppen voller fremder Kinder und Bezugspersonen anging. Das Hübchen ist nämlich seinerseits in solchen Situationen völlig tiefenentspannt. Nichts langweilt dieses Kind mehr, als einen ganzen Tag mit seiner alten Mutter zu verbringen. Andere Kinder sind für ihn das Beste und wo Spielzeug und Klettergerüste sind, da ist das Kind glücklich. Beste Voraussetzungen also.

Aber eine Kita, das ist eben doch noch mal etwas anderes als eine Kleingruppe bei einer Tagesmutter. Im Moment vermisst das Hübchen seine alte Tagesmutter und es vergeht kaum ein Tag, an dem er nicht von seinen alten Freunden erzählt, die er dort gefunden hatte. Das Kind ist noch keine drei Jahre alt, aber seine Sozialisation ist genauso handfest wie die eines Erwachsenen. Und mich macht es traurig, dass er aus einem konstanten Teil seines bisherigen sozialen Umfeld so knallhart rausgerissen wurde.

Stress fürs Kind

Und es macht mich traurig und gleichzeitig auch wütend auf unser Bildungssystem, dass er sich ab sofort mit seinen nicht mal drei Jahren in einer großen Gruppe von 25 Kindern zurechtfinden und sich mit all diesen anderen kleinen und größeren Kindern zwei Erzieherinnen teilen muss. Ich weiß, dass ihn das erst mal stressen wird. Und ich weiß auch, dass er auch in der Vergangenheit das eine oder andere Mal gestresst war, zum Beispiel weil wir eine falsche Tagesmutter ausgesucht hatten und er noch einmal wechseln musste. Oder weil er eine Zeit lang mehr tägliche Zeit bei seiner Tagesmutter verbracht hat als mit uns. Oder weil er in seinem kurzen Leben schon viele und teils wechselnde Bezugspersonen hatte.

Und dann lese ich Texte im Internet, in denen steht, dass frühe Betreuung Kindern sowieso schadet. In denen Mütter schreiben, dass sie ihre Kinder erst mit drei Jahren in die Kita geben, weil sie ihnen den Wechsel von der Tagesmutter in die Kita ersparen wollen. Ich lese Blogs, in denen selbstständig arbeitende Mütter ihre Jobs und die Kinderbetreuung Zuhause quasi mit links hinkriegen und dabei trotzdem immer genug schlafen.

Und ich frage mich: Habe ich eigentlich alles verbockt? Bin ich einfach zu faul, zu blöd oder zu dumm, dass ich das nicht auch schaffe? Oder bin ich einfach zu egoistisch, weil ich neben Job und Kind auch noch Zeit zum Lesen, zum Yoga und bald vielleicht auch endlich mal wieder zum Reiten haben will?

Macht mein Egoismus mein Kind kaputt?

Und dann schreit das Kind. Und schreit. Und wütet. Und schlägt um sich. Und ich frage mich: Ist das meine Schuld? Rastet der Sohn jetzt so aus, weil er mit 5 Monaten zu seiner ersten Tagesmutter kam? Wird er jetzt verhaltensauffällig weil ich so eine schlechte Mutter war? Weil ich lieber zur Arbeit ging als mich um mein eigen Fleisch und Blut zu kümmern?

Aber dann kommt jemand nettes daher und sagt mir: Ist normal. Die sind alle so in dem Alter. Wer es nett meint, nennt es Autonomiephase. Wer weniger Mitleid hat, nennt es Trotz. Und ich erinnere mich, dass auch ich schon mehrfach darüber geschrieben habe, nur war es da nicht im Ansatz so schlimm wie jetzt. Und ich habe doch keine Erfahrung mit Kindern! Ich dachte doch ernsthaft, jetzt ist mein Kind kaputt!

Ist alles Typsache

Aber nein, das Kind ist nicht kaputt. Es entwickelt sich völlig normal. Es hat vielleicht einen verhältnismäßig stark ausgeprägten eigenen Willen, aber das sollte ihm vermutlich für die Zukunft sogar halbwegs nutzen. Und dann erzählt mir der Mann, dass auch er ein schrecklich anstrengendes Kind war – und damals, in den 80ern, da gab es noch gar keine Kinderbetreuung für unter Dreijährige! Und dann treffe ich meine Freundin mit ihrem Sohn, der genauso alt ist wie das Hübchen, Zuhause betreut wird, und trotzdem nicht weniger anstrengend ist als mein Kind. Und schon geht es mir ein wenig besser.

Es ist nämlich vermutlich, wie es ist: Das Hübchen ist ein oftmals anstrengendes Kleinkind, das schon bald zu einem oftmals anstrengenden Kitakind werden wird. Und ich habe starke Zweifel an der Theorie, dass unser Leben weniger nervenaufreibend geworden wäre, wenn ich mich als Hausfrau und Mutter betätigt hätte. Denn dazu tauge ich einfach nicht – und insofern das Hübchen auch nicht.

Das Hübchen packt das alles

Eigentlich weiß ich also sehr gut, dass mein Hübchen die Kita sicher sehr gut verpacken wird. Und dass es uns beiden sehr gut tun wird, wenn ich wieder mehr Zeit für meine Arbeit habe und der Sohn wieder mehr Zeit mit anderen Kindern verbringen kann – auch wenn eine Kita natürlich noch mal eine andere Hausnummer ist als eine Tagesmuttergruppe. Gerade weil er der Jüngste in seiner Gruppe sein wird, würde ich mir ein paar mehr Erzieherinnen wünschen, damit gerade den Kleineren mehr Zeit gewidmet werden könnte. Aber das sieht der vorgegebene Betreuungsschlüssel leider nicht vor.

Aber ich weiß schon, wen das alles am Ende wohl am allerwenigsten stören wird: Das Hübchen. Weil mein Sohn vermutlich schon am dritten Kitatag so tun wird, als wäre er nie woanders gewesen.

5 Kommentare zu „Von Selbstvorwürfen und anderem Unsinn

  1. Doreen

    Wir haben seit 3 Tagen Kindergarteneingewöhnung, vorher auch ähnlich, schon 2 Tagesmütter, und auch ich war sehr aufgeregt.
    Zum Glück gibt es da schon baby 2, was ich zu haus hüte, während mein Freund den großen Kleinen fast 3 jährigen zum Kiga fährt …Alles Gute euch

    • Danke dir! Tag 2 ist rum und das Hübchen ganz cool. Ich war ein bisschen das Mama-Alien, weil ich meinem Kind Zeit zum Abschied gegeben habe. Aber warum Verzweiflung beim Abschied produzieren wenn es mit ein bisschen Zeit auch anders geht? Bisschen schade, dass die Erzieherinnen wohl eher pro Hau-Ruck-Eingewöhnung sind. Aber ich mache eh einfach so wie es mir passt. 😉 Und so scheint es auch sehr gut zu gehen! Viel Erfolg auch euch weiterhin! 😉

  2. Georgia

    Liebe Sophie,

    schon seit längerem möchte ich einen Kommentar auf deinem Blog hinterlassen. Schon mit dem ersten Artikel den ich las, hast du mir aus der Seele gesprochen. Es ging um die Einsamkeit berufstätiger Mütter.
    Und plötzlich habe ich gemerkt, dass bei uns alles so ähnlich ist.
    Ich wohne in Essen, bin 29 und habe eine Tochter, die im Oktober drei wird und einen zwei Monate alten Sohn.
    Meine Tochter kam nach Studienende auf die Welt, was den Berufseinstieg nicht gerade leicht gemacht hat.
    Vielleicht treffen wir uns mal auf der Rü!
    Ich würde gerne mal mit dir quatschen.
    Liebe Grüße Georgia

  3. Lisa

    Ja ich sehe dafür definitiv auch keinen Grund ! Also der Artikel trifft bestimmt den ein oder anderen Nerv einer geplagten Frau

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