2. Juni 2015 Kategorie: Blogartikel
Regretting Motherhood? Regretting gesellschaftliche Zustände!
Mensch, ich gebe es zu: Ich habe da gehörig etwas verpennt. Während ein Aufschrei durch die Medien ging und wirklich so gut wie jeder Blog sich mit dem Thema #regrettingmotherhood beschäftigte, hatte ich irgendwie anderes zu tun. Die Geburtshilfe retten, zum Beispiel. Oder mein Kind in weiteren 20 Kitas anmelden, weil bisher keine einzige unserem Sohn einen Platz anbieten konnte. Und jetzt mit etwas Abstand denke ich: Es sind genau diese fürchterlich banalen Schwierigkeiten, die uns Mütter dazu bringen, hin und wieder (und im schlimmsten Fall dauerhaft) unsere Mutterschaft zu bereuen!
Die Quintessenz der gesamten #regrettingmotherhood-Geschichte wurde häufig dargestellt als zu hohe Erwartungshaltungen, die Mütter heutzutage an sich selbst hätten. Frauen wollen angeblich alles gleichzeitig sein: Die perfekte Mutter, die mit den eigenen Händen die Schultüte bastelt, immer frisch kocht und für ihre Kinder stets verfügbar ist – zum Trösten, zum Liebhaben, zum Spielen. Gleichzeitig will die heutige Frau aber auch arbeiten, sucht Bestätigung in ihrem Job und erkämpft sich eine Position auf Augenhöhe mit ihrem Partner.
Die Gesellschaft und auch viele Männer erwarten das mittlerweile auch von den Frauen – und diese von sich selbst. Während der Mann also oftmals nur arbeiten gehen muss und vielleicht höchstens mal am Wochenende den Kochlöffel in die Hand nimmt oder mit den Kindern im Park Fußball spielt, ächzen die Frauen unter der vielfachen Belastung und rennen in ihr Unglück aus Überforderung. Frauen wollen eben einfach zu viel, vergessen darüber ihre eigenen Bedürfnisse und bereuen schlussendlich sogar, jemals Mutter geworden zu sein.
Sind die Frauen etwa selbst Schuld daran?
Die Süddeutsche Zeitung fragt im Interview die Soziologin Christina Mundlos:
SZ: Als Fazit ließe sich also sagen, am Ende liegt es vor allem an den Frauen selbst?
Mundlos: Absolut. Dass es soweit kommt, dass Frauen ihre Mutterschaft bereuen, wird erst möglich, wenn sie nicht in der Lage sind, die ihnen auferlegte Mutterrolle abzulehnen. Es kommt darauf an, die eigenen Bedürfnisse zu schützen und sich damit selber Anerkennung zu geben. Es gibt immer die Möglichkeit, eine Tasse Kaffee zu trinken. Man muss es sich allerdings wert sein und sich klar machen: Ich habe ein Recht darauf.
Sollte es also wirklich so einfach sein? Müssen wir Mütter einfach nur mal wieder ein bisschen mehr an uns selbst denken und alles wird gut? Sind wir letztlich sogar manchmal selbst Schuld, weil wir schließlich ständig das Zepter an uns reißen, die Kindererziehung nicht an den Vater und erst recht nicht an Großeltern oder Erzieherinnen abgeben wollen? Macht unser eigener Perfektionismus uns am Ende zu überforderten und bereuenden Müttern?
Liegt es wirklich an solchen Kleinigkeiten?
Ich glaube nicht, dass es so einfach ist. Mir geht diese Diskussion viel zu sehr ins Detail. Letztlich sind es selten diese kleinen Dinge, die eine Mutter ihr Leben als solche bereuen lassen. Es ist nicht der Schlafmangel, der mich in unwiderrufliche Verzweiflung treibt, denn den kann ich am Wochenende mit einem langen Nickerchen aufholen. Es ist auch nicht die Tatsache, dass mein Kaffee schon wieder kalt geworden ist oder dass ich seit drei Monaten nicht mehr im Kino war. Denn das sind alles Dinge, die mit der Zeit und dem Alter der Kinder besser werden. Was aber nicht so schnell besser wird, das sind die großen Dinge, die Familien in unserem Land belasten.
Die Doppelbelastung aus Job und Kindern könnte ich viel besser verkraften, wenn ich mein Kind gut und verlässlich betreut wüsste, in einer Kita, die einen guten Personalschlüssel hätte und meinem Kind viele Spiel- und Lernanreize geben würde. Derzeit bereitet es mir jedoch schlaflose Nächte, dass wir immer noch keinen Kitaplatz für unseren Sohn haben, obwohl wir ihn teils schon kurz nach seiner Geburt in etlichen Einrichtungen angemeldet haben.
Kinderbetreuung: teuer und von minderer Qualität
Wenn die Waschmaschine kaputt geht, wir streichen müssen oder auch einfach wenn wir mal wieder ein paar Tage Urlaub machen wollen, macht es uns außerdem finanzielle Sorgen, dass wir trotz Bezuschussung durchs Jugendamt monatlich einen Selbstanteil von vielen Hundert Euro für eine Kinderbetreuung bei einer Tagesmutter berappen müssen, die noch nicht mal unseren Wünschen entspricht, weil wir ja eigentlich auf einen Kitaplatz warten.
Wobei die Betreuung durch eine Tagesmutter momentan ja ein nicht zu unterschätzender Glücksfall ist: All die Eltern, die momentan von den Kitastreiks betroffen sind, haben noch viel schlimmere Sorgen. Und warum sind die Streiks überhaupt nötig? Weil in unserem Land überhaupt nicht wertgeschätzt wird, wie wichtig eine vernünftige Kinderbetreuung ist und was Erzieherinnen und Erzieher täglich leisten! Es ist einfach eine Unverschämtheit der Kommunen und des ganzen Staates, soziale Berufe derart schlecht zu bezahlen, einen viel zu niedrigen Personalschlüssel anzusetzen und die Erzieherinnen und Erzieher nun dazu zu zwingen, den Streik auf dem Rücken der Familien auszutragen!
Kinder zu haben bringt in Deutschland nur Nachteile
Einer neuen Studie zufolge kriegen die Deutschen weltweit die wenigsten Kinder, was sich langfristig zu einem Standortproblem für Deutschland entwickeln wird. Aber warum sollte auch irgendwer noch freiwillig Kinder kriegen, wenn der Staat Familien keine Vorteile einräumt, sondern ihnen nur Hindernisse in den Weg legt? Von den Steuervorteilen profitieren kinderlose Ehepaare deutlich mehr, das bisschen Kindergeld geht ruckzuck für die Betreuungskosten drauf und die richtig tollen (und gut bezahlten) Jobs kriegt man (frau) mit Kind auch nicht mehr: zu unflexibel, ist ja klar.
Die Familienfeindlichkeit fängt ja aber schon viel eher an: Mittlerweile wissen Frauen ja nicht mal mehr, ob und wenn ja wie sie während Schwangerschaft und Geburt betreut werden können. Der Hebammenmangel und die vielen schließenden Geburtsstationen sind bereits die erste Bedrohung für den Kinderwunsch und ein deutliches Signal in die Richtung junger Paare: Dem Staat ist es egal, wie, wo und mit wem ihr eure Kinder kriegt, seht halt zu, dass ihr es irgendwie allein über die Bühne bringt!
Kinder sind ein privater Luxus
Dieses vom Staat und von der Gesellschaft Allein-gelassen-werden ist ein ganz starkes Gefühl, das mich seit der Geburt meines Kindes begleitet. Ich will wirklich nicht jammern, weil ich ja alles gut im Griff habe und auch durchaus fähig bin, mich zu kümmern und zu machen und zu tun. Darüber hinaus bin ich ein großer Fan von Freiheit und wünsche mir sicher keinen Planstaat, der in übertriebener Weise seine „schützende“ Hand über deutsche Familien hält.
Und dennoch habe ich das Gefühl, dass junge Familien in Deutschland mit ganz grundlegenden, teils existenziellen Sorgen völlig allein gelassen werden. Dazu zählt unter anderem eben die Sorge um sichere und fachgerechte Betreuung in der Schwangerschaft und während der Geburt sowie danach die noch größere Sorge, einen guten Betreuungsplatz zu finden (und das möglichst pünktlich zum geplanten Wiedereinstieg in den Beruf), und dazugehörend auch die Finanzierung ebendieses Platzes.
Die Grundlagen für eine glückliche Mutterschaft fehlen
Wenn solch grundlegende Dinge nicht geklärt sind, wenn Frauen schon hier begrenzt und eingeengt werden, wenn sie schon hier Sorgen haben müssen, anstatt auf eine Grundunterstützung vertrauen zu können, dann lohnt es sich gar nicht, in der #regrettingmotherhood-Debatte weiter ins Detail zu gehen. Dann krankt das System nämlich schon an der Basis.
Wie soll ich bitteschön als Mutter mal ganz entspannt an mich selbst denken, wenn die Betreuung meines Kindes nicht gesichert ist? Wenn die Betreuungskosten das Geld für den für mein seelisches Gleichgewicht so nötigen Theaterbesuch schlicht auffressen? Wie soll ich entspannt nach sechs Monaten in meinen Job zurückkehren und den Mann in Elternzeit gehen lassen, wenn ich weiß, dass sein Chef das nur zähneknirschend akzeptiert und ihm darum eine Beförderung verwehren wird? Wie soll ich Mutter und Arbeitnehmerin gleichzeitig sein, wenn nach wie vor viel zu wenige Arbeitgeber flexible Arbeitszeiten, Home Office oder Teilzeitjobs mit Karrieremöglichkeiten anbieten?
Wahlfreiheit ist ein leeres Versprechen
Nein, es sind nicht nur die hohen Anforderungen an uns selbst, die uns Mütter so fertig machen, dass wir in manchem Falle sogar unsere Mutterschaft bereuen. Es sind vor allem auch die staatlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten, die uns täglich an unsere Grenzen bringen. Ich habe gar kein Problem damit, auch einfach mal ohne mein Kind auszugehen und ausnahmsweise mal einen warmen Kaffee zu trinken. Ich habe nicht mal ein Problem damit, arbeiten zu gehen und mein Kind währenddessen in einer Betreuungseinrichtung zu lassen.
Ich wünschte mir aber, dass das selbstverständlich wäre und dass ich auch die Möglichkeit hätte, einen qualitativ hochwertigen Betreuungsplatz zu finden, der nicht meine letzten Ersparnisse auffrisst. Ich wünschte mir auch, dass es normal würde, dass Frauen und Männer gleichermaßen für Kinder und Broterwerb zuständig wären und dass keines der beiden Geschlechter benachteiligt würde oder sich für irgendetwas rechtfertigen müsste.
Und solange diese Wünsche nicht in Erfüllung gehen, kann ich jede Frau verstehen, die sagt: Manchmal bereue ich es, Mutter geworden zu sein. Weil die Grundlage fehlt. Weil es keine Basis gibt, auf der sich junge Familien sorgenlos einrichten könnten. Weil Wahlfreiheit bislang ein leeres Versprechen ist.
Würde ich mich noch mal trauen? Ich weiß es nicht
Wenn ich ganz ehrlich bin, dann muss ich zugeben, dass ich nicht wüsste, ob ich mich noch einmal trauen würde, mit 26 Jahren und in den Endzügen meines Studiums ein Kind zu bekommen. Damals war mir gar nicht klar, wie kompliziert das Leben mit Kind manchmal ist und dass etliche Dinge, von denen ich dachte, dass sie zur Grundversorgung gehören würden, einfach gar nicht so leicht zu bekommen sind.
Ich hatte keine Ahnung, wie stark man sich als Eltern mit wirklich völlig durchschnittlichem Einkommen an den Kosten der Kinderbetreuung beteiligen muss, nur weil man wieder arbeiten gehen will, bevor das Kind drei Jahre alt ist. Ich wusste auch nicht, wie wenige Kitas und Tagesmütter es überhaupt nur gibt, die Betreuungszeiten bis 17 Uhr anbieten (und dass man in einer Kita ohnehin keinen Platz kriegt, weil es viel zu wenige gibt). Mir war nicht klar, wie schwierig es ist, eine Hebamme zu finden, die mir bei der Geburt und in der ersten anstrengenden Zeit mit Baby hilft. Ich habe außerdem aus meinem Optimismus heraus ignoriert, dass es sehr kompliziert sein kann, ein Berufsleben mit Kind und mangelhafter, unflexibler Kinderbetreuung zu organisieren.
Die Sorgen zukünftiger Eltern sind real
Wären mir all diese Probleme bewusst gewesen, ich hätte mit dem ersten Kind wohl noch gewartet, bis mein Leben etwas sicherer, strukturierter und auch finanziell stabiler gewesen wäre. Obwohl der Kinderwunsch groß war. Obwohl für den Mann und mich feststand: Wann, wenn nicht jetzt? Ich bin froh, so naiv gewesen zu sein und es einfach trotzdem getan zu haben, weil das Leben mit Kind einfach schön ist und ich das Gefühl habe, täglich noch ein bisschen vollständiger und glücklicher zu werden.
Aber es tut mir leid um jedes Paar, das wegen solcher Sorgen den Kinderwunsch nach hinten schiebt – vielleicht so lange, bis es zu spät ist. Denn wegen solcher Sorgen kriegen immer weniger Paare immer weniger Kinder – und nicht weil heutige Mütter zu perfektionistisch oder gar zu egoistisch wären. Die Grundbedingungen müssen stimmen, und solange sich da nichts verbessert, werden weiterhin etliche Mütter sagen: Ich bereue es, Mutter geworden zu sein. Und zwar nicht, weil ich meine Kinder nicht liebe, sondern weil mir das Leben von Staat und Gesellschaft so oft so schwer gemacht wird!