Räupchen in Trotzphase

Das Räupchen hat Trotzphase, und zwar so richtig hart. Das ist einerseits unglaublich anstrengend, weil ihre Wutanfälle wirklich laut sind und der erste oft schon morgens direkt nach dem Aufstehen kommt, wenn wir eigentlich erst mal nur Käsebrot essen wollen. Andererseits sind wir auch sehr erleichtert, dass unsere Kleine sich die Trotzphase jetzt so richtig erlaubt.

Denn wir sind der Überzeugung: Trotzphase ist gesund! Man liest ja immer mal wieder von irgendeiner selbsternannten Supermutti, dass Kinder gar keine Trotzphase hätten, wenn sie nur bedürfnisorientiert genug begleitet würden. Ich denke dann immer: Haha, viel Spaß in der Pubertät, wenn die ganzen unterdrückten Gefühle dann umso stärker rauskommen. Ja, bisschen gemein von mir, aber ich bin wirklich sicher, da ist was dran.

Bei unserem Räupchen jedenfalls haben wir uns sehr lange überhaupt nicht vorstellen können, dass sie irgendwann mal in so eine richtige Trotzphase kommt. Das kleine Mädchen war einfach immer so unglaublich umgänglich und nett. Stets besorgt um ihre Mitmenschen, war (und ist) sie ein bisschen die gute Seele in unserer Familie.

Wenn das „liebe“ Kind in die Trotzphase kommt

Die Differenz zum großen Bruder war oft sehr sehr groß. Untereinander waren die beiden zwar von Anfang an ein Herz und eine Seele. Aber gerade in der Kommunikation mit uns Eltern gab es immer sehr große Unterschiede. Während der Große oft sehr fordernd und bestimmend war, fragte die Kleine nett. Während der Große immer Angst hatte, selbst zu wenig zu kriegen, war die Kleine immer um Ausgleich bemüht und teilte gern mit allen anderen. Während der Große mehr als genug mit seinen eigenen Gefühlen zu tun hatte, war die Kleine stets ums Wohlbefinden ihrer Mitmenschen bemüht.

Aber jetzt ist alles anders, denn bei der Kleinen ist Trotzphase angesagt und Höflichkeit, Freundlichkeit und Rücksicht sind mehrmals pro Tag völlig ausverkauft. Und auch wenn es erst mal blöd klingt: Ich freue mich da wirklich total drüber. Weil ich nämlich ein paar sehr positive Erkenntnisse aus dem Fakt ziehe, dass auch unser liebes und braves Räupchen nun endlich so richtig trotzt:

Erkenntnis No. 1: Unsere Familie ist OK

Eine Sorge, die mich über die letzten knapp vier Jahre begleitet hat, war: Was, wenn das Räupchen die womöglich einzige noch freie Position in unserer Familie besetzt? Diese wäre die vom braven angepassten Töchterlein. Denn mit einem zweiten gefühlsstarken Kind wären wir Eltern einfach völlig überfordert gewesen. Vereinfacht gesagt hatte ich wirklich Angst, dass das Räupchen sich absichtlich anpasst, weil sie unterbewusst merkt, dass unsere Familie nicht noch mehr Stress verträgt.

Ich war selbst so ein angepasstes Kind und habe bis heute Schwierigkeiten, mit meiner Wut umzugehen. Diesen fehlenden Entwicklungsschritt wünsche ich niemandem – schon gar nicht meiner eigenen Tochter. Die supertolle Trotzphase, die erfrischende Rücksichtslosigkeit und der herrliche Egoismus, all diese starken Gefühle, die das Räupchen aber nun seit einigen Monaten an den Tag legt, zeigen mir: Alles super in unserer Familie!

Hier darf jede und jeder wütend sein und die eigenen Grenzen verteidigen. Auch wenn die Grenzen einer dreijährigen Trotzraupe manchmal ein bisschen unlogisch und übertrieben anmuten. 😉 Aber das wird ja wieder vorbeigehen und sich in normalen Maßen einpendeln. Ich bin jedenfalls sehr froh darüber, dass unser Räupchen sich nicht zurücknimmt, sondern dass sie sich traut, ihre Gefühle auszuleben und sich dabei auf unsere elterliche Resilienz verlässt.

Lustigerweise kehren die Geschwisterrollen sich jetzt auch immer häufiger um: Der früher oft so kopflos-wütende große Bruder ist dann der Vernünftige, der Rücksicht auf die verrückten Launen seiner Schwester nimmt. Und natürlich verbünden die beiden sich auch oft genug gegen uns Eltern, wenn sie sich beide ungerecht behandelt fühlen. „Mama und Papa sind echt voll blöd!“ – „Ja, genau!“, sind so Sätze, die wir hier gerade sehr oft hören. 🙂

Erkenntnis No. 2: Es liegt nicht an der Kita

So richtig angefangen hat die Trotzphase der Kleinen Anfang dieses Jahres. Da ging sie schon mehr als einen Monat nicht mehr in die Kita, weil uns die Corona-Inzidenz dafür zu hoch war. Ich weiß aber genau, welche Gedanken wir uns gemacht hätten, wenn das anders gewesen wäre: Ist die Kita schuld? Hat das Kind zu viel Stress? Überfordern wir sie mit fünf Stunden Kita täglich?

Die Sache mit der Betreuung war beim Räupchen ja niemals leicht. Zwei Betreuungsplätze haben wir abgesagt, weil unsere Kleine einfach noch nicht so weit war. Bei der Tagesmutter ging es dann in einem sehr geschütztem und liebevollem Rahmen. Der Wechsel in die Kita letzten Sommer war dann aber ein großer Bruch. Nach langer Eingewöhnung und dank ihrer Bezugserzieherin hat es gut geklappt, aber ein bisschen Unsicherheit blieb.

Es ist also ein ganz glücklicher Umstand, dass wir durch die blöde Corona-Situation sicher wissen: An der Kita liegt es nicht. Die Trotzphase ist ganz natürlich und absolut unabhängig von anderen äußeren Reizen. Klar, wir könnten jetzt ins andere Extrem gehen und sagen: Das Räupchen trotzt so schlimm, eben weil sie gerade keine Kontakte zu Gleichaltrigen hat. Das halte ich aber für Quatsch.

Sicher täte ihr die Kita gerade gut, aber ich glaube kaum, dass sie Auswirkungen auf den Schweregrad der Trotzphase hätte. Das Kind muss da durch und das ist gut für ihre Entwicklung – mit oder ohne Kita.

Erkenntnis No. 3: Das Räupchen bleibt das Räupchen

Was neben aller Anstrengung wirklich wahnsinnig süß zu beobachten ist: Wie das Räupchen zwischen Engelchen und Teufelchen schwankt. Gerade wenn sie wirklich lange und laute Wutanfälle hinter sich hat, gibt es auch immer wieder Phasen am Tag, in denen sie nur kuscheln will und irgendwie „extra lieb“ ist.

Sie macht mir zum Beispiel Komplimente für meine „schönen langen Haare“ oder findet mein Kleid heute „ganz besonders schick“. Und ganz generell merken wir, dass unter der ganzen Wut und dem Willen, sich abzugrenzen, immer noch ihr eigentliches Temperament durchscheint. Sie ist und bleibt unser ausgleichendes und ausgeglichenes Räupchen. Diese Charakterzüge werden gerade halt nur ein klitzekleines bisschen durch den neuen Autonomiewillen überdeckt. Oder auch ein größeres kleines bisschen. 😉

Als Kleinkindeltern macht man schon was mit

Der Satz, den wir im Moment wohl am häufigsten vom Töchterlein hören, ist: „Ach, lass mich einfach in Ruhe!“, vorgetragen mit so einer ganz besonders abwertenden Stimme, die uns Eltern auf den Platz verweist, auf den wir ihrer Meinung nach wohl gerade gehören. Wir bemühen uns sehr, dann nicht zu lachen, aber manchmal sind die Situationen so komisch, dass wir uns nicht beherrschen können. Was natürlich den nächsten Wutanfalls provoziert…

Meine Akuthilfe ist ehrlich gesagt gerade sehr oft Ohropax. Ist die Lautstärke erst etwas reduziert, kann ich auch direkt viel besser trösten und in den Arm nehmen. Mal gucken, wie lange wir die kleinkindlichen Stimmungsschwankungen jetzt noch aushalten müssen. Da im Sommer auch noch ein neues Baby kommt, befürchten wir prophylaktisch schon das schlimmste. Dann sind wir wenigstens nicht enttäuscht, wenn es ein zweites Mal extra hart wird.

Als Kleinkindeltern macht man schon was mit. Aber es hat halt alles seine eigene Ordnung. Trotzphase muss sein, oder wie Räupchens Opa sagen würde: „Gönn dir!“. Also genau: Gönn dir, Räupchen. Wir sind da, halten dich fest und lassen dich auch wieder los. Wenn du bereit bist.

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