Mein gefühlsstarkes Kind …ist jetzt ein Schulkind!

Das Kind an der Tür verabschieden – und mit den Tränen kämpfen. Die kleine Schwester von der Kita abholen – und schon wieder nasse Augen. Das Hübchen am Nachmittag in Empfang nehmen – und fast losheulen. Ihr seht, ich bin gerade etwas nah am Wasser gebaut. Aber lasst euch nicht täuschen: Das sind alles Freudentränen!

„Hallo Mama!“ – zu mehr hat es heute Nachmittag nicht mehr gereicht. Das Hübchen hat seinen zweiten richtigen Schultag hinter sich, acht Stunden neue Eindrücke. Lernen, Üben, Mittagessen, Pausen, Spielen am Nachmittag. Und das erste, was er macht, als er nach Hause kommt, ist zu fragen: „Darf ich noch draußen bleiben und mit den Nachbarn spielen?“.

Dieses Kind erstaunt mich einfach immer wieder. Nach acht Stunden auf der Arbeit, mit Kundenkontakt und Kollegengesprächen, würde es für mich introvertiert veranlagtem Menschen erst mal nur einen Weg geben: Den in die Stille. Für meinen extrem extrovertierten Sohn hingegen gibt es nichts schöneres als soziale Kontakte.

Im Gegensatz zu mir zieht er seine Energie aus dem Austausch mit anderen Menschen. Ein Faktor, der unser Familienleben oftmals ganz schön belastet. Denn wenn Kontakte zu anderen Bezugspersonen, Gleichaltrigen und Freunden fehlen, sucht unser Sohn die permanente Ansprache bei uns. Ja, da bluten nach einem langen Tag schon mal die Ohren.

Ein anstrengendes Corona-Jahr

Das letzte halbe Jahr war sehr schön, weil wir als Familie enger zusammengewachsen sind. Corona als Therapie, quasi. Gleichzeitig war es auch die extremste Belastungsprobe, die wir uns vorstellen konnten. Aber wie das nun so ist: Man gewöhnt sich an alles. Und deswegen ist es ein richtig krasser Moment, in dem ich merke, wie sehr mein Sohn die regelmäßigen sozialen Kontakte vermisst haben muss.

Der Austausch mit anderen Kindern ist es, der ihn durch diese neue Zeit trägt. Einschulung – was für eine Zäsur im Kinderleben! Aber während mein Sohn die ersten Tage in der Schule mit einer beeindruckenden Lässigkeit absolviert, wird in mir einmal alles gut durchgeschüttelt. Plötzlich ist er in der Schule. Ganz allein. Für so viele Stunden. Und ich habe nur einen Hauch von Ahnung, was ihm dort alles widerfährt.

Schule heißt auch, nicht mehr so nah dran zu sein

Mir ist das erst in den letzten Tagen klar geworden: Schule heißt offenbar auch, dass man als Eltern ab sofort nicht mehr so nah dran ist. Schule in Corona-Zeiten erst recht. Und das ist für uns erst mal eine ganz schöne Herausforderung. Denn als Eltern eines gefühlsstarken Kindes, das in der Vergangenheit mit einigen Situationen auch erst mal ganz schön überfordert sein konnte, sind wir es eigentlich gewohnt, die Kontrolle zu behalten. Wir ebnen den Boden, klären Probleme, finden Lösungen.

Und dann kommt die Schule. Und das Kind muss von heute auf morgen allein klarkommen. Ich könnte schon wieder heulen, wenn ich das tippe. Aber gar nicht mal aus Traurigkeit, sondern viel mehr aus Freude, Stolz und Erleichterung. Denn dieser tolle Junge kommt klar. Einfach so. Spaziert in die Schule, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Spielt in den Pausen Basketball mit den anderen Jungs. Meldet sich im Unterricht. Und vor allem: Steht morgens mit einem Strahlen im Gesicht auf, weil er in die Schule darf.

Warum ich das hier alles aufschreibe? Etwa zum Angeben, wie super mein Kind das alles macht? Nee, echt nicht. Denn bestimmt erinnert ihr euch daran, wie ich vor zwei Jahren darüber schrieb, dass wir das Hübchen nicht vorzeitig einschulen lassen wollen (er ist knapp nach Stichtag geboren). Wir haben uns dazu entschieden, ihn noch ein weiteres Jahr zu „beschützen“.

Was hinter uns liegt

Wir haben Kämpfe für ihn und mit ihm ausgefochten. Wir haben gelacht und geweint, gelitten und uns gefreut. Wir waren sehr oft sehr wütend. Manchmal hilflos, ohnmächtig, verzweifelt. Wir haben begleitet, reguliert, unterstützt und bestärkt. Wir haben Mut gemacht und Grenzen gesetzt. Wir haben aufgepasst, uns selbst nicht zu verlieren.

Wir haben Bedürfnisse erfüllt und gehofft, den Moment nicht zu verpassen, in dem ein Bedürfnis nur noch ein bloßer Wunsch war. Wir haben versucht, unser Familienleben nicht von den Launen eines einzelnen Kindes abhängig zu machen. Und dabei immer versucht, auch diese Launen auszuhalten und anzunehmen, als Teil unseres Kindes, das wir bedingungslos lieben, immer und für immer.

Wir haben sehr viel Kraft und Energie aufgebracht. Wir haben manchmal gedacht, es geht nicht mehr, die Kraft ist alle, Ende, aus, vorbei, Burnout. Und dann ging es doch wieder. Wir haben uns zusammengerauft, uns akzeptiert und respektiert. Wir haben uns dabei vielleicht ein kleines bisschen zu viel angeschrien. Aber wir haben uns auch sehr oft gesagt, dass wir uns lieben und dass wir immer füreinander da sind.

Mein Kind ist gut so wie es ist

Nach diesen knapp sieben Jahren Hochs und Tiefs, Höllenritt und schönstem Erlebnis in einem, fallen mir ganze Felsbrocken vom Herzen. Mein Kind ist gut so wie es ist. Und noch viel mehr: Es macht den Sprung ins kalte Wasser mit Mut und Neugier, mit Freude und Leichtigkeit.

Ich kann nicht sagen, was ausschlaggebend für diese neue Lässigkeit ist. Vielleicht hat vor allem die Zeit die Weichen gestellt. Vielleicht tat auch die Corona-Pause besonders gut. Vielleicht passt die Schule besonders gut zu ihm und seine Lehrerin und Erzieherinnen sind besonders toll. Vielleicht haben wir Eltern aber auch doch einfach nicht alles falsch gemacht.

Am wahrscheinlichsten ist wohl, dass es eine Mischung aus allem war. Eine Mischung, der ich auch zukünftig vertrauen werde. Denn logisch, dass das hier nicht alles war. Es wird noch so viel Neues kommen, so viele Herausforderungen, bei denen ich nicht händchenhaltend neben meinem Sohn stehen können werde. Aber das macht nichts, weil er das alles alleine schafft. Mit unserer Rückendeckung. Und die hat er ein Leben lang.

3 Kommentare zu „Mein gefühlsstarkes Kind …ist jetzt ein Schulkind!

  1. Lara

    Ein wunderbarer Text und wunderschöne Liebeserklärung an das Hübchen!
    Hier gestaltet sich der Schulstart mit Höhen und Tiefen. Das Loslassen fällt schwer….
    Ich wünsche Euch, dass das Hübchen noch ganz lange mit so viel Freude in die Schule geht!
    Liebe Grüße
    Lara

  2. Muskelkatze

    Ich lese deinen Blog häufig wenn ich Mal wieder am Limit meiner Kräfte bin. Du hast mich mit deinen Texten schon häufig durch sehr schwere und anstrengende Zeiten getragen. Mit Tränen lese ich deine Zeilen immer und immer wieder um mir bewusst zu machen, dass mein Sohn keine Diagnose braucht und alles gut wird. Ich finde meinen Sprössling in deinen Texten sooooo sehr wieder. Mein Bauch sagt mir auch, dass er zwar anders ist, aber nicht krank. Trotzdem spiegelt die Umwelt immer wider, dass dieses Kind (mein Sohn) nicht normal ist. Nun verlief der Wechsel in die Schule leider auch alles andere als gut. Der Lehrer beschrieb ein Kind, welches ich in Teilen wiedererkannt habe, aber auch vieles ganz neu für mich war. Chaotisch? Zerstreut? Vergesslich? Mein Kind??? So kenne ich ihn gar nicht. Er ist zuhause oft schon ein kleiner Erwachsener und wir trauen ihm so viel zu, weil er so verlässlich und genau ist. Manchmal legt er sogar zwanghaft Stifte oder ähnliches gerade, weil es für ihn falsch aussieht. Wie kann er dann chaotisch sein? Meine Theorie ist, dass ihn die Lautstärke und Umgebung überfordert, obwohl auch er laut und sehr impulsiv ist. Der Lehrer sagt, er sei vom Verhalten ein Kindergartenkind und nicht schulreif. Die Leistungen sind alle anstandslos top. Er begreift alles sofort, ist pfiffig, kommt aber nicht sofort ans Arbeiten, ist immer abgelenkt… Von Kleinigkeiten. Steht im Unterricht auf, redet, kann sich nicht zurücknehmen. Ich hatte so gehofft, dass sich in der Schule alles verändert. Dass er so gefordert ist, dass er ruhiger wird. Aber nein! Unser Albtraum geht weiter. Die Stigmatisierung hält weiterhin an. Ich bin Mal wieder an einem Punkt einzuknicken. Beschäftigt mich mit ADHS und komme doch immer wieder an den Punkt, dass diese Diagnose, die jeder sehen will, nicht passt. Ich bin ratlos, hilflos, verzweifelt. Will meinen Sohn schützen, aber andererseits auch nur das Beste für ihn tun. Viel zu vorschnell werden Diagnosen gestellt wenn Kinder nicht ins Raster passen. Ich habe Angst vor der Tretmühle, die ich eventuell anwerfe. Sechs eineinhalb Jahre fühlt sich mein Leben nun schon wie eine ständige Achterbahnfahrt an. Meine Energie geht zu Ende. Ich sehne mich
    Nach Konstanz. Es ist alles so wahnsinnig anstrengend mit ihm. Meine Tochter zeigt mir dann immer wieder, dass das Problem nicht in unserer Erziehung liegt. Sie ist einfach ein normales Kind bei dem Erziehung wie im Ratgeber funktioniert. Unser Sohn ist einfach“anders“ 🙁 Seid froh, dass euer Schulstart so positiv verlief, so dass sich der Druck nur auf zuhause beschränkt. Alles Gute euch weiterhin…

    • Ohje, das klingt wirklich anstrengend und ich fühle beim Lesen sehr mit dir. Ich muss dabei an etwas denken, was zum Beispiel Nora Imlau in ihrem zweiten Buch zu gefühlsstarken Kindern schreibt: Es kann immer sein, dass bestimmte Verhaltensweisen nicht allein durch Gefühlsstärke oder Hochsensibilität zu erklären sind. Das Schulalter ist ein gutes Alter, um ein paar „Extras“ abklären zu lassen. Es gibt meines Wissens gute Zentren dafür, in denen eben keine Stigmatisierung oder Schubladendenken vorherrschen, sondern einfach ein genaues Hingucken und auch langfristige Begleitung (SPZ – Sozialpädiatrische Zentren). Vor allem aber wird den Eltern dadurch oft eine große Last genommen: Man ist dann nicht mehr allein mit den Problemen, sondern schaut gemeinsam mit Experten, was man tun kann, damit das Leben für die Familie wieder einfacher wird. Vielleicht kann ich dir Mut machen, das doch mal an dich ranzulassen.

      Wir haben das Glück, dass unser Sohn sich sehr gut an den Schulalltag gewöhnt hat und keine Schwierigkeiten mit dem Lernen oder auch dem Sozialen hat. Allerdings wäre ich sofort bereit, nach Hilfe und Unterstützung zu suchen, wenn das nicht so wäre. Letztlich ist es ja auch für das Kind eine enorme Belastung, wenn es nicht gut zurecht kommt.

      Angst vor der Tretmühle, ja das kann ich verstehen. Aber es kann euch ja niemand zu irgendetwas zwingen. Ärztinnen usw. haben ja auch Schweigepflicht, was zum Beispiel die Information der Schule angeht. Also wäre das Abklären ja erst mal für euch als Familie. Und was ihr dann damit macht, könnt ihr immer noch schauen.

      Und vielleicht ist ja auch alles OK, wie es eben ist. Dann könntet ihr vielleicht mit den Lehrern reden oder im Zweifel auch eine andere Schule suchen. Ohje ja, es wäre so viel schöner, wenn es einfacher wäre, oder? Ich kenne diese Gedanken auch. Und trotzdem finden wir immer Lösungen für unsere Kinder, weil anders geht es nun mal nicht.

      Ich wünsche euch alles Gute! Es wird bestimmt alles gut.

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