Liebe Frau Marini

Liebe Frau Marini, stellvertretende Pressesprecherin des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen, hoffentlich verzeihen Sie mir meine Unverfrorenheit, aber ob Ihrer Unverfrorenheit (oder sollte ich sagen Gefrorenheit, angesichts der Kälte, mit der Sie gestern in der NDR Radiosendung über das „Aus“ der freiberuflichen Hebammen gesprochen haben) fühle ich mich auf quasi moralischer Ebene gezwungen, mein Schreiben an Sie hier zu veröffentlichen. Ich habe Sie dazu nicht um Erlaubnis gebeten, aber Sie haben Ihre Worte gestern Abend ja selbst gewählt und waren sich hoffentlich auch im Klaren darüber, dass etliche Menschen nicht mit Ihren Äußerungen einverstanden sein könnten. Diese Menschen sind wir, Ihre Versicherten. Das sind wir, die Eltern, die keine Hebammen mehr finden, weil es immer weniger werden, bis es bald gar keine mehr gibt. Bis vor kurzem haben wir unseren Krankenkassen noch vertraut, weil wir glaubten, sie kümmerten sich um uns, wenn wir medizinische oder pflegerische Hilfe benötigen. Mittlerweile glauben wir das nicht mehr. 

Ich bin wirklich entrüstet ob der Absurdität der von Ihnen dargebrachten Argumente im NDR-Gespräch gestern Abend. Allen voran Ihre Feststellung, ich zitiere:

“Wenn ich freiberuflich tätig bin muss ich mir vorher überlegen, lohnt sich das auch, rein finanziell betrachtet?”

Nun, wie Sie sicher mitbekommen haben, hat ca. ein Drittel aller freiberuflich in der Geburtshilfe tätigen Hebammen beschlossen, dass es sich nicht mehr lohnt – all diese Hebammen haben zum 1.7.2015 die Geburtshilfe an den Nagel gehängt. Aber die Frage, mit der SIE vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV-SV) sich doch eigentlich beschäftigen sollten ist: Was machen unsere versicherten Frauen ohne diese Hebammen?

Ob freiberuflich oder nicht: Wir brauchen Hebammen

Mir persönlich, als Schwangere oder junge Mutter, ist es nämlich provokant gesagt völlig egal, ob meine Hebamme freiberuflich arbeitet oder angestellt ist, solange ich eine Hebamme habe, die sich 1:1 um mich kümmert. Fakt ist jedoch: Nach derzeitiger Lage gibt es ohne freiberufliche Hebammen nicht genug Hebammen, die sich um uns Frauen kümmern könnten. Ja, es gibt nicht mal genug festangestellte Hebammen in Kliniken, die dort für eine gute Versorgung der gebärenden Frauen sorgen könnten.

Also bitte verschonen Sie uns Eltern mit ihren Überlegungen, ob und für wen Freiberuflichkeit sich lohnen könnte und ob das für Hebammen eine gute oder schlechte Idee sein könnte. Das ist uns nämlich im Grunde völlig egal, wir wollen einfach nur versorgt werden.

Kommen Sie Ihrem Versorgungsauftrag nach!

Also kommen Sie in Gottes Namen endlich wieder Ihrem Versorgungsauftrag nach und sorgen Sie dafür, dass ALLE Hebammen, ob freiberuflich oder nicht, ihren Beruf ausüben können. Weniger Hebammen bedeutet weniger Sicherheit – und um die geht es Ihnen doch angeblich.

Betreffend der neuen Ausschlusskriterien für außerklinische Geburten sagten Sie in der NDR-Sendung nämlich auch:

“Aber Frau Jeschke (Vertreterin des Deutschen Hebammenverbandes, Anm.d.Red.), genau deshalb haben wir uns doch bereits mit Ihnen darauf verständigt, dass wir evidenzbasierte Kriterien unterlegen wollen, wenn es dafür ausreichende Studienmaterial gibt.”

Sie vermuten wahrscheinlich schon, welche Frage jetzt kommt. Klar, ich muss fragen: Aber Frau Marini, warum legen Sie nicht zuerst mal die evidenzbasierten Daten vor, die Ihre geplanten neuen Kriterien als sinnvoll bestätigen, BEVOR Sie sie festlegen? Oder darf man, provokant verglichen, heutzutage einen Mörder schon verurteilen, bevor er überhaupt einen Mord begangen hat?

Wo sind die Beweise für Ihre neuen Regeln?

Derzeit gibt es überhaupt keinen Anlass dafür, anzunehmen, dass das Überschreiten des Geburtstermins ein “medizinisches Kriterium” ist, das “die Wunschbehandlung zum Sicherheitsrisiko für das ungeborene Kind und/oder die Mutter werden” lässt, wie Sie in einem Antwortschreiben an eine andere aufgebrachte Mutter meinten.

Bitte, im Namen der Sicherheit: Legen Sie erst Studien vor und stellen Sie dann Qualitätskriterien auf, die auf diesen Studien basieren! Und hören Sie vor allem auf, uns Mütter zu bevormunden, was ANGEBLICH sicher für uns und unsere Kinder ist, denn SIE WISSEN ES NICHT, weil es bisher KEINE STUDIEN GIBT!

Ihr Handeln schadet Eltern und Kindern

Ich hoffe sehr, dass Sie und der gesamte GKV-SV endlich einsehen, dass Sie Frauen, Müttern, Kindern und natürlich auch Vätern mit Ihrem Handeln massiv schaden. Wir sind diejenigen, die keine Hebammen mehr finden. Wir sind auf uns allein gestellt. Wir sind diejenigen Eltern, die nach dem ersten oder zweiten Kind keine weiteren Kinder mehr bekommen, weil wir uns zu sehr vor einer Schwangerschaft, Geburt und Wochenbettzeit ohne vernünftige Betreuung fürchten.

Können Sie sich vorstellen, wie oft ich in letzter Zeit gehört und gelesen habe “Ich wollte eigentlich noch ein zweites/drittes/viertes Kind, aber ohne Hebamme möchte ich nicht mehr”? Es ist erschreckend! Und das in einem reichen Industrieland, in dem Hebammenversorgung zu einer Grundversorgung gehören sollte! In einem Land, das eine der geringsten Geburtenraten der Welt aufweist! Es ist ein Hohn, wie Sie mit uns Eltern umgehen!

Und übrigens, ja, ich verlange von Ihrem GKV-SV, dass Sie helfen, die Hebammen zu finanzieren, wenn die momentane Lage das nötig macht. Denn das ist Ihre Aufgabe als GKV-SV: dafür zu sorgen, dass die Versicherten gut und sicher versorgt werden.

Ich freue mich auf Ihre Antwort und sende freundliche Grüße
ASP

P.S. Um Frau Marini und dem gesamten GKV-SV zu zeigen, dass wir Eltern uns empören und nicht damit einverstanden sind, dass uns die Hebammen wegrationalisiert werden, sollten wir alle noch schnell die Petition unterzeichnen, die für die Selbstbestimmung der Frau eintritt und eine sichere Versorgung von Mutter und Kind fordert.

Ein Kommentar zu „Liebe Frau Marini

  1. Gerlinde Krüger-Söll

    Ich möchte als Großmutter, dass meine Kinder gut versorgt sind, wenn sie uns Enkelkindern schenken!
    Herzlichen Dank für Ihr Engagement!
    Ich wünsche mir, dass die Politik sich wieder daran erinnert, wer der Souverän in Deutschland ist und danach handelt, wenn es gravierende Misstände gibt, wie bei der Schwangeren- und Neugeborenenversorgung durch ausreichende Hebammen!
    Wenn Ärzte die Spitzenpositionen der gesetzlichen Krankenversicherungen bekleiden und nicht in der Lage sind multiprofessionell zu denken und zu handeln, dann sind sie dort am falschen Platz! Es nährt den Eindruck, dass auch hier Lobbyinteressen der Ärzteschaft vor Gemeinwohlinteressen der Eltern, Schwangeren, Kindern/ ungeborenen und neugeborenen, Hebammen gehen!
    Einer Demokratie unwürdig!

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