Home is where your family is

In meiner Mittagspause lese ich gerne in anderen Blogs, und neulich las ich bei „Mama arbeitet“ den Text Was Städte mit einem machen. Darin schreibt Christine Finke über ihre Liebe zu den drei Städten Freiburg, Berlin und Konstanz, in denen sie gerne lebt oder gelebt hat, und reißt auch kurz ihren Lebensweg an, der sie immer in andere Städte geführt hat. Christines schöner Artikel stimmte mich ein bisschen wehmütig und gleichzeitig hoffnungsvoll und abenteuerlustig. Denn wenn ich die letzten knapp zehn Jahre meines Lebens Revue passieren lasse, sehe ich vor allem: Viele Ortswechsel, viele neue Erfahrungen und immer den Drang, dass bald wieder etwas Neues passieren muss. 

Zwischen meinem 20. und 28. Lebensjahr habe ich in einem Vorort von Paris, in Essen, in Bordeaux, in Berlin, wieder in Essen, in Frankfurt/Oder, wieder in Berlin, in Sofia, in Nizza, ganz kurz in Dortmund und schließlich wieder in Essen gelebt. Dabei war meine Kindheit und Jugend ganz unspektakulär: Reihenhaus, idyllischer Stadtteil im Süden von Ruhrgebiets-Oberhausen, eine liebevolle Hausfrau als Mutter plus einen etwas verrückten aber durchaus auch bodenständigen Vater.

Aber während einige meiner Schulfreundinnen, die ich glücklicherweise auch heute noch zu meinen Freundinnen zählen kann, einen ähnlichen Weg gingen wie unsere Eltern und ebenfalls in unserer Heimatstadt oder ganz in der Nähe blieben und zum Teil jetzt sogar anfangen, Eigentum zu kaufen, bin ich nach dem Abi los und hab mir mal was anderes angeschaut.

Ich tausche gerne meinen Wohnort

Gut, große Abenteuer habe ich jetzt nicht unbedingt erlebt, die überlasse ich den anderen. Denn ich reise nämlich eigentlich gar nicht gerne, ich lebe gerne an einem festen Ort. Nur den festen Ort tausche ich gelegentlich einfach aus. Gleich nach der Schule habe ich ein Au-Pair-Jahr in einem Pariser Vorort verbracht, was trotz der neuen Verantwortung doch noch recht behütet war. Meine sonstigen Auslandsaufenthalte habe ich alle mit meinem Studium verbunden, wodurch ich vor Ort einen richtigen Alltag mit festem Wohnsitz und bald auch festem Freundeskreis hatte. Das brauche ich einfach. Wilde Touren durch Südostasien – um Gottes willen! Ich finde es spannend, wenn andere davon berichten und schaue mir gerne Fotos von verrückten Abenteuerreisen an, aber nee, für Mutti is‘ das nix.

Apropos Mutti. Christine von „Mama arbeitet“ schließt ihren Blogeintrag so:

„Und dann hielt der ICE mit meinen beiden großen Kindern auf Gleis 2, die vom Umgang mit dem Vater zurückkehrten, und wir fuhren mit dem Auto nach Hause nach Konstanz, das ihr Zuhause ist. Damit hatte sich alles vorher Gefühlte erledigt, denn das Zuhause meiner Kinder ist nun meins. So einfach ist das.“

Und ich stelle mir die Frage: Was soll denn das bedeuten, „Das Zuhause meiner Kinder ist nun meins“? Sofort regt sich bei mir ein schlechtes Gewissen, weil ich mir gerne jetzt schon ausmale, wohin ich in den kommenden Jahren gerne (wieder) ziehen würde. Ich habe Sehnsucht nach Berlin, denn dort ist es genauso, wie Christine es auch in ihrem Artikel beschreibt: Ich fühle mich einfach wohl. Vielleicht, weil meine Ruhrgebiets-Kodderschnauze dort auf die Berliner-Kodderschnauze trifft. Vielleicht auch, weil die Stadt so viele andere unstete Charaktere versammelt, die bereits mal hier und mal da gelebt haben, die großteils offene Charaktere sind und verschiedene Lebensentwürfe tolerieren.

Muss ich für mein Kind mal „ankommen“?

Vielleicht würde ich in Berlin mal „ankommen“, wie man so schön sagt. Also einfach mal Jahr über Jahr über Jahr in einer Stadt leben, ohne nach spätestens zwei Jahren das Gefühl zu bekommen, endlich mal wieder umziehen zu müssen. Mit dem Mann habe ich schon überlegt, ob es mir sonst vielleicht helfen könnte, häufiger innerhalb der Stadt umzuziehen. Aber das ist ja irgendwie auch keine Lösung. Sollten wir tatsächlich mal weiter weg ziehen als Düsseldorf (wo ich momentan arbeite), würde das zeitgleich auch bedeuten, dass mein Sohn seine Großeltern und seine (inoffizielle) Patentante nicht mehr sehr häufig sehen könnte. Von beiden spricht er mittlerweile beinahe täglich, seit er unsere Sprache zumindest in Ein- bis Zweiwortsätzen beherrscht.

Ist es fair meinem Sohn gegenüber, ihn räumlich von einigen seiner liebsten Bezugspersonen zu trennen, nur weil Mutti ihr Glück in einer anderen Stadt zu finden meint? Kann ich es ihm überhaupt zumuten, auch wieder die Betreuungseinrichtung zu wechseln, ihn mit neuen Betreuungspersonen und anderen Kindern zu konfrontieren? Würden der Mann und ich Familie und Jobs allein stemmen können, ohne die Unterstützung durch meine Eltern?

Der Ruhrpott zieht mich an und stößt mich ab

Unser jetziger Wohnort Essen war vor allem auch ein Kompromiss. Ich liebe das Ruhrgebiet sehr, aber irgendwie vermag es mich trotzdem nicht zu halten. Es klingt pathetisch, aber es ist wie es ist: Das Ruhrgebiet zieht mich an und stößt mich ab und deswegen fühle ich mich hier immer wahnsinnig wohl und zuhause und bin gleichzeitig immer auf dem Sprung.

In Essen zu leben war in den letzten zwei Jahren einfach praktisch. Wir leben zentral, was unsere Arbeitsorte und eine Vielzahl an Freizeitaktivitäten betrifft, und haben vor allem meine Eltern in der Nähe, die nach wie vor ihr Reihenhaus bewohnen und in selbigem gern bereit sind, ein kleines Hübi zu beherbergen, wann immer es nötig oder gewünscht ist. Mein Wohnort soll aber mehr sein als praktisch. Und deswegen werden unsere Umzugs-Überlegungen sicher bald konkret.

Und wenn es so kommen sollte, dass wir in den nächsten zehn, zwanzig Jahren noch häufiger umziehen, dann fühle ich ein ehrliches Bedauern darüber, meine Eltern und viele meiner Freunde zurückzulassen und dieses Gefühl empfinde ich auch stellvertretend für meinen Sohn, denn natürlich entferne ich ihn dann von diesen Menschen. Gleichzeitig weiß ich aber auch, dass Ortswechsel ihn nicht umhauen werden.

Kein Umzug wird mein Kind erschüttern

Pädagogen oder sonstige Erziehungsexperten würden bei unserem Hübi wohl von einem „sicher gebundenen Kind“ sprechen und das ist er wohl in der Tat. Auf Mama und Papa kann er sich halt immer verlassen, die gehen niemals weg und das weiß er auch. Und ich selbst werde schon panisch bei dem Gedanken, mein kleines Hübchen auch nur mal für ein Wochenende zu verlassen um eine Freundin in einer anderen Stadt zu besuchen. Ja, so bin ich eben geworden: Eine Mutter, die abends als erstes nach ihrem schlafenden Kind schaut, auch wenn sie nur kurz zwei Stunden beim Yoga-Unterricht war.

Wenn wir also wegziehen, dann nehmen wir unseren Sohn einfach mit und tun am neuen Ort alles, damit er sich ebenso wohl fühlt wie wir. Vielleicht kann man das nicht mit allen Kindern machen. Sicherlich gibt es Kinder, die ängstlicher, schüchterner oder weniger anpassungsfähig sind als das Hübchen. Und vielleicht würde ich meine eigenen Bedürfnisse eher hintenan stellen, wenn ich solch ein Kind hätte. Mit meinem Hübi habe ich jedoch nicht das Gefühl, dass ich das machen müsste. Wird schon klappen, denken der Mann und ich – und das wird es auch.

Dahin, wo man nachts noch Pfirsiche kaufen kann

„Das Zuhause meiner Kinder ist nun meins“ möchte ich daher eher interpretieren als „Mein Zuhause ist immer das Zuhause meiner Kinder“. Denn solange wir als Familie zusammen sind und uns zu 100% aufeinander verlassen können, spielt der Ort wohl eine Nebenrolle – solange wir uns an diesem Ort wohl fühlen. Und da der Mann und ich uns dort richtig wohl fühlen, wo viele Menschen leben, wo immer etwas passiert, wo man auch um Mitternacht noch Pfirsiche kaufen kann wenn einem danach ist, wo einem immer neue Menschen und Lebensstile begegnen, wird sich unsere Zukunft auf jeden Fall in einer großen Stadt abspielen. Welche genau das sein wird, ist noch offen. Berlin ist ein Wunsch, aber wer weiß, was vielleicht stattdessen kommt?

Vielleicht übernimmt unser Sohn wenn er groß ist mal unsere Präferenz für große Städte und trubeligen Alltag. Vielleicht wird er später aber auch ein junger Mann, der sich mit seiner Frau (oder seinem Mann, wer weiß?) ein Reihenhaus in einem brandenburgischen Dorf kauft oder sogar zurück in unsere Heimat Ruhrgebiet zieht, weil seine Kodderschnauze hier genauso gerne gehört wird wie in der Hauptstadt. Genau wie meine Eltern werde ich dann traurig sein, wenn er sich von meinem Lebensmittelpunkt wegbewegt. Genau wie meine Eltern werde ich aber alle seine Lebensentscheidungen akzeptieren müssen. Weil es ja dann sein Leben ist. Genauso wie dieses hier mein Leben ist.

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