Hilfe, mein Kind prügelt!

Es ist unromantisch und hart, aber manchmal müssen Wahrheiten auch einfach mal ausgesprochen werden: Ein Kind zu kriegen ist ganz wunderbar und es gibt auch in der Tat sehr viele fast romantische oder sehr rührende Momente. Aber: Im Grunde kauft man mit so einem leiblichen Kind ja die Katze im Sack. Und manchmal erwischt man ein Kind von der durchsetzungsstarken Sorte – ob es einem gefällt oder nicht. 

Ich jedenfalls wusste ja neun Monate lang nicht mal, ob am Ende ein Herr oder doch eher eine Frau Baby herauskommen würde. Und ehrlich gesagt hatte ich mir ein süßes, zierliches Mädchen gewünscht um am Ende einen ziemlich groß und kräftig geratenen Jungen in den Armen zu halten. Ich war dann  trotzdem glücklich, denn immerhin: Es war mein Baby! Es war süß, es war brav und dann wuchsen auf seinem Kopf auch noch Locken. Nach wie vor bin ich täglich ganz entzückt von diesem süßen Fratz und schmelze dahin, wenn er mit zartem Stimmchen „Mama!“ sagt. Leider bin ich jetzt wieder kuriert von dieser Romantik. Die Katze im Sack hat ihre Kralle ausgefahren: Ich habe meiner pazifistischen Familie einen kleinen Haudegen aufgehalst. Mein einstmals braves Baby ist ein wild um sich prügelnder Rambo geworden! Herrjemine, was für ein Kind!

Unser letzter Sonntagsausflug führte uns ins wirklich sehr zu empfehlende LWL-Freilichtmuseum nach Hagen. Und einen anderen Grund, mich weiter als Essen Steele gen Osten zu bewegen, kann es für mich auch kaum geben. Mein Herz hängt eben am westlichen Ruhrgebiet. Dort im wilden Süd-Osten verbrachten wir dann aber einen schönen Nachmittag mit großteils bravem Kind – wenn man mal großzügig über die üblichen Ausraster hinwegsieht, die seit einiger Zeit an der Tagesordnung sind und die im Grunde immer damit zusammenhängen, dass wir seine Autonomie untergraben. Alleine Treppen steigen, alleine essen, alleine jegliche Bewegungsrichtung bestimmen geht sehr zum Missfallen des kleinen Kindes leider nicht immer und unter allen Umständen.

Unser Ausflug neigte sich also dem Ende und wir machten Halt an einem Spielplatz mit vielen Klettermöglichkeiten. Hübilein kletterte also ein bisschen rum, jagte einem „Botel“ (Vogel) hinterher und fand dann sogar einen kleinen Freund – so dachte ich zumindest zunächst. Ich saß in einiger Entfernung und machte mir keine Gedanken, mein Kind versteht sich schließlich gut mit anderen Kindern.

Mein Sohn verprügelt Hippie-Kinder

Aber dann hörte ich das Geschrei und Geheul. Es kam nicht von meinem Sohn. Der nämlich hatte den anderen kleinen Jungen in eine Ecke gedrängt und schlug ihm immer wieder auf den Kopf. Und der andere Junge wehrte sich überhaupt nicht – konnte er auch nicht, denn er gehörte offensichtlich zu einer Neo-Hippie-Familie, ihr wisst schon, Dreadlocks, Joints und weite Hosen. Der arme Kleine wurde sicherlich fundamental-pazifistisch erzogen – der wusste doch gar nicht, wie zurückschlagen geht! Ich bin also hingerannt, habe meinen Mini-Rambo „aus der Situation genommen“, wie pädagogische Ratgeber vermutlich schreiben würden, kurz geschimpft und dann sind wir besser schnell gegangen, bevor der Hippie-Clan uns noch mit Räucherstäbchen beworfen hätte.

Ich war schockiert. Keine Ahnung, was zuvor passiert war. Ich kann nur vermuten, dass der andere kleine Junge irgendwas hatte, was mein Kind haben wollte. Aber auch das rechtfertigt nicht diese archaische Vorgehensweise meines kleinen Gewalttäters. Aber erkläre das mal jemand einem Anderthalbjährigen! Der jedenfalls ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen, ganz so, als wäre es völlig normal, mal eben zwischendurch einen Gleichaltrigen zu vermöbeln.

Ich will keinen starken Hendrik

Ich finde das gar nicht gut. Ich erinnere mich nämlich selbst noch sehr gut an meine eigene Kindergartenzeit. In meiner total pazifistischen Hippie-Kita gab es damals, Anfang der 90er, einen kleinen Jungen, den ich ehrfürchtig stets nur den „starken Hendrik“ nannte. Der starke Hendrik war ein Jahr jünger als ich, aber ich – zart, sommersprossig, untergewichtig – hatte einen riesigen Respekt vor ihm. Der starke Hendrik fackelte nämlich nicht lange: wenn er etwas wollte (die beste Schaukel, das größte Kuscheltier, die Legobox mit den guten Steinen), dann holte er es sich – mit allen Mitteln. Ich wette, die Eltern vom starken Hendrik hatten nichts zu lachen. Weder bei der Durchsetzung ihrer eigenen erzieherischen Grundregeln, noch im Kontakt mit anderen Eltern.

Liebe Eltern vom starken Hendrik, auch wenn ich keine Ahnung mehr habe, wer ihr seid: Ich fühle mit euch! Es ist richtig doof, das Elternteil eines prügelnden Kindes zu sein. Hätte ich heute auf der anderen Seite gestanden und gesehen, wie ein anderes Kind meinem eigenen immer wieder „auf den Kopp draufkloppt“, wie wir hier im Ruhrgebiet sagen, ich hätte da wohl wenig Verständnis für gehabt, sondern eher so Gedanken wie: Erziehen die ihr Kind etwa nicht? Nun hatte die Familie des verprügelten Hippie-Kindes wohl eher nicht so viel mit Erziehung im klassischen Sinne am Hut. Aber dann wird es ja im Grunde noch schlimmer, wenn man mit solchen Gedanken antiautoritärer Erziehung an die Sache herangeht: Die schlimmen Eltern leben ihrem Kind eben keinen respektvollen Umgang vor. Oder sogar: Dieses Kind hat wohl selbst niemals Liebe erfahren.

Und wahnsinnig schnell werde ich in den Augen der Allgemeinheit von der liebevollen, wohlwollend mein Kind umsorgenden Mutter zu einer schrecklichen Dummbratze, die entweder

  1. ihr Kind nicht im Griff hat und sicherlich noch keinen einzigen Erziehungsratgeber gelesen hat
    oder
  2. dem armen Kind keine Liebe schenkt, wodurch es ja nur zum asozialen Psychopathen werden kann, denken wir an Jean-Baptiste Grenouille, der nun mal wirklich nicht anders konnte als fremde Frauen zu verspeisen, weil seine Mutter ihn schon als Säugling auf dem Fischmarkt verrotten lassen wollte.

Da denke ich verzweifelt: Hilfe! Nein, so bin ich nicht! Ich hatte doch als Kind selbst Angst vor dem starken Hendrik! Und ich will ganz sicher nicht, dass mein eigenes Kind ein starker Hendrik wird! Die Geschichten aus der Kindheit des Mannes, in denen befreundete Familien sich zwischendurch weigerten, zu Besuch zu kommen, weil er als kleines Kind immer alle anderen Kinder vermöbelte, stimmen mich leider nicht gerade zuversichtlich. Was mache ich jetzt nur? Eine Selbsthilfegruppe gründen für Mütter gewalttätiger Anderthalbjähriger?

Ich habe mich zunächst zum Abwarten entschlossen. Abwarten, ob der kleine Rambo vielleicht demnächst etwas Verständnis für die Gefühle anderer Menschen entwickelt. Außerdem zeige ich nun ganz viel guten Willen und wende liebevolle Tut-so-als-sei-sie-Erziehung an, die den Sohn immer wieder daran erinnert, dass andere Menschen auch Gefühle haben. Genauso wichtig finde ich deutliches Zurechtweisen nach Prügelattacken wie der gestrigen. Mal sehen, wann es wirkt. Und so lange das unklar ist, hat der Mann den Auftrag, im Garten schon mal das Fundament für den Schuppen zu legen. Herrjemine, was für ein Kind…

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