Haltung ist, was übrig bleibt, wenn das Licht aus geht

Leute, wir müssen mal reden. Und zwar über was Ernstes. Über Querdenker und Mitläufer und Spiri-Blogger und sonstige Influencer, die in bedenkliche Sphären abdriften. Vorab möchte ich sagen: Dieser Artikel hat keinen journalistischen Anspruch. Mein Leben ist gerade äußerst turbulent und ich traue mich gewissermaßen auch nicht, dass Fass richtig aufzumachen und deepe Recherchearbeit zu betreiben. Dieser Text ist, wie so oft in meinem Blog, eine persönliche Meinung. Er enthält meine subjektiven Beobachtungen und Sorgen und sollte unbedingt nicht mit objektivem Anspruch gelesen werden.

Worum genau geht es mir? Um nichts geringeres als das Auseinanderbrechen der Gesellschaft. Was im Osten der Republik vielleicht schon vor ca. fünf Jahren mit Pegida begann, setzt sich nun im Westen fort: Die Spaltung zwischen jenen Menschen, die offen, tolerant und respektvoll miteinander umgehen wollen und jenen, die sich mehr Ausgrenzung wünschen und in erster Linie Angst um ihre persönlichen Vorteile haben.

Anhand dieser Formulierung merkt ihr es schon: Ich bin da ganz klar parteiisch. Pegida-Unterstützer*innen kriegen von mir nicht den Hauch von Verständnis oder gar Unterstützung. Und ähnlich halte ich es mit der aktuellen „Querdenker“-Bewegung. Denn auch wenn hier jede Menge Pseudo-Spirituelle mit Regenbogenfahnen und buntgekleideten Kleinkindern mitlaufen – lasst euch nicht täuschen. Was dort propagiert wird, ist nichts anderes als ein „nach mir die Sintflut“.

Anders als bei Pegida habe ich für die Ängste dieser Menschen sogar noch ein bisschen Restverständnis. Die Angst vor Einschränkungen, vor neuen Situationen, auch Angst um die eigene Existenz (z.B. von vielen Solo-Selbstständigen)  kann ich verstehen. Allerdings kann es doch keine Lösung sein, die eigenen Freiheiten nun über das Wohl und die Gesundheit so vieler anderer Menschen zu stellen!

Bei Verschwörungstheorien und Geschwurbel ist Schluss!

Wenn das Ganze dann noch mit den krudesten Verschwörungstheorien und unwissenschaftlichem Geschwurbel einhergeht, dann geht mein letztes bisschen Rest-Verständnis ziemlich schnell flöten. Und nicht zuletzt: Die Querdenker-Bewegung wurde sehr schnell von handfesten Nazis gekapert. Wer da immer noch mitläuft oder sich solidarisiert, macht sich für mein Empfinden definitiv mitschuldig. Denn spätestens an diesem Punkt geht es nicht mehr um Meinungen und zulässige Abweichungen, sondern einfach um den wichtigen Grundsatz: Mit Nazis solidarisiert man sich nicht. Punkt.

Für viele Menschen ist es gerade extrem besorgniserregend, wie viele Freunde, Bekannte, entfernte Bekannte man nach und nach verliert, weil sie in Richtung Schwurbelhausen abdriften. Gespräche? Diskussionen? Gute Argumente? Ziehen nicht. Und sind auch nicht erwünscht. Gerade in den Sozialen Netzwerken wird geblockt und gelöscht, was das Zeug hält. Im echten Leben höre ich immer wieder, dass sich WhatsApp-Gruppen trennen oder Freundschaften aufgelöst werden.

Besonders anfällig: Die bindungsorientierte Szene

Besonders anfällig erscheint mir, mal wieder, die bindungsorientierte Szene. Freundinnen erzählen mir, dass sie aus teils langjährig bestehenden Chatgruppen austreten. Die Themen dieser Gruppen waren oft: Windelfrei, Trageberatung, Stillen usw. Die meisten meiner Freundinnen versuchen zu diskutieren, teilen Links, vertreten gute Argumente. Aber: Keine Chance. Irgendwann stellt sich halt die Frage: Wie viel Energie will ich verschwenden? Da liegt der Austritt nah.

Ich selbst hatte einen Konflikt in der WhatsApp-Gruppe meiner Yoga-Klasse. Ich habe dort die Aktion von #YogisGegenRechts geteilt, die sich mit einer Foto-Kampagne gegen Schwurbelei in der Yogaszene richtet. Die Reaktionen von den knapp 40 Mitgliedern der Gruppe (frei zusammengefasst): „Linksextreme sind auch scheiße“, „Yoga ist nicht politisch, verschone uns damit“ sowie „Können wir uns hier bitte nur über unsere Yogatermine austauschen und alles Private raushalten?“.

Wer Nazivergleiche grundsätzlich unangebracht findet, liest hier mal kurz drüber weg, aber: Puh, ja, seitdem ist mir klar, wie Hitler 1933 an die Macht kommen konnte. So fucking viele Mitläufer in einer einzigen WhatsApp-Gruppe! Denn es gab nur einen einzigen mich unterstützenden Kommentar, ansonsten nur Contra und der große Rest hat lieber mal schön die Klappe gehalten.

Mitläufertum und die Augen verschließen: Mir macht das Angst

Ganz ehrlich: Mir macht diese Stimmung wirklich Angst. Das ist genau der Nährboden, auf dem politische Extreme gedeihen. Keiner will sich damit auseinandersetzen, könnte ja auch das schöne kapitalistische Leben stören – und wenn es am Ende zu spät ist, will’s wieder niemand gewusst haben.

Ich weiß, ich male jetzt ziemlich schwarz und wurde von der #shantifa-Gruppe auch wieder ganz gut aufgefangen. Ich solle mich nicht sorgen, hieß es. In WhatsApp-Gruppen und generell Online trauten sich die wenigsten, klare Kante zu zeigen. Die Informationsdichte sei heute viel besser als damals und ein zweites 1933 passiere nicht so schnell. Wir sind viele und wir halten dagegen.

Haltet dagegen!

Ja, dieses Mutmachen habe ich in der Situation echt gebraucht. Trotzdem möchte ich manchmal laut rufen: Zeigt euch mehr! Haltet euch nicht zurück, wenn Menschen anfangen, Blödsinn zu verzapfen, Menschenleben abzuwerten und ihre eigenen Rechte und Freiheiten höher zu bewerten als die ihrer Mitmenschen (aka „Risikopersonen“). Haltet dagegen – oder brecht am Ende eben den Kontakt ab, auch wenn es bitter ist.

Was uns auf keinen Fall passieren darf, ist ein „geduldet sein“ dieser kruden Anschauungen. Aktuell habe ich leider das Gefühl, dass die Querdenker sich pudelwohl in der Mitte unserer Gesellschaft fühlen – und mit ihnen die Nazis. Dabei sind sie eine Minderheit – und genau das müssen wir sie spüren lassen!

Die Sozialen Netzwerke werden zum Problem

Was dabei tatsächlich zum Problem wird, sind die Sozialen Netzwerke. Ich habe erst kürzlich bei einer Bloggerin/Unternehmerin kommentiert, der ich seit vielen Jahren folge, weil sie sich in ihren Anfängen mit den Themen freie Geburt/Hypnosegeburt/selbstbestimmte Geburt beschäftigt hat, was mich grundsätzlich interessiert. Als sie mit der Zeit immer mehr in die Eso-Ecke abdriftete, bin ich ihr aus Interesse weiter gefolgt.

Nun zeigt sie online ihr wahres Gesicht und verbreitet Angst vorm Masketragen, zitiert den Verschwörungstheoretiker Thorsten Mann, der seinerseits Angst vor einer „Sozialistischen Weltregierung“ hat, und plädiert dafür, einfach „mehr Plätze auf Intensivstationen“ zu schaffen, anstatt die persönliche Freiheit der Massen einzuschränken. Hatte ich erwähnt, dass diese Bloggerin meine kritischen Kommentare gelöscht und mein Profil blockiert hat? Ja, so einfach ist das nämlich in Social Media. Wenn man ihre Schwurbel-Posts nun liest, finden sich darunter ausnahmslos applaudierende Kommentare.

Randmeinungen werden gesellschaftsfähig

Und so erscheint es, als wäre eine lächerliche Randmeinung, die mit keinerlei Evidenz hinterlegt werden kann, ein Grund zum Klatschen und Befürworten. Ich meine, klar, idealerweise sollten wir alle in der Lage sein, Social-Media-Posts kritisch zu hinterfragen. Aber es hat schon einen Grund, warum selbst Twitter es eingeführt hat, potentielle Unwahrheiten als genau das zu markieren. Fragt mal Gerade-noch-Präsident Trump, der kann da ein Liedchen von singen, wie blöd das plötzlich ist, wenn man öffentlich endlich als das dargestellt wird, was man eben auch ist: Ein Lügner.

Ich finde es also echt bedenklich, dass Schwurbel-Instagrammer und -Facebooker ihre Unwahrheiten so unkritisiert verbreiten können – bzw. einfach jegliche Kritik mirnichtsdirnichts weglöschen können. Interessant fand ich das übrigens auch im Zusammenhang mit einer erfolgreichen Bloggerin, der ich ebenfalls seit vielen Jahren folge und die viel Gutes für die Verbreitung bindungsorientierter Erziehung geleistet hat. Leider ist sie auch seit einer Weile auf dem Eso-Pfad und hat ihr erstes Drogenerlebnis freudestrahlend öffentlich gemacht (Ayahuasca – wenn ihr schon mal in der Spiri-Szene unterwegs wart, ist euch das bestimmt ein Begriff).

Kritik daran gab es jede Menge, darunter sehr fundierte Kritik von Menschen, die mit von ernsthaften Psychosen betroffenen Ex-Drogies arbeiten und da echte Erfahrung vorzuweisen haben. Was passierte mit der Kritik? Nun, erst nicht viel, außer, dass die Bloggerin sich darüber lustig machte und sich selbst als Erleuchtete und über ihre Kritiker erhaben darstellte. Im zweiten Schritt fühlte sie sich böse an den Pranger gestellt und wollte Mitleid. Und im dritten, ihr ahnt es, wurden die kritischen Kommentare einfach gelöscht.

Soziale Netzwerke bilden kein reales Meinungsbild ab

Mich persönlich würde es nicht wundern, wenn besagte Bloggerin demnächst ebenfalls propagieren würde, Meditation und gelegentliche Drogenrituale wären sowieso wirksamer als Maske-tragen, aber was weiß ich schon. Das Beispiel sollte hier auch eigentlich nur zur Verdeutlichung des Problems dienen: Soziale Netzwerke bilden kein reales Bild der Meinungen ab. Das war vermutlich schon immer so, wird aktuell aber auf eine gefährliche Art und Weise deutlich.

Für viele Menschen ist es gar nicht so einfach, sich in diesem Tümpel zurechtzufinden. Wer hat Recht? Was ist begründet? Und kann diese Meinung so schlecht sein, wenn sie in den Kommentarspalten von 50 Leuten beklatscht wird? Was halt nicht hilfreich zur Meinungsbildung ist: Die 70 kritischen Kommentare wurden zwischenzeitlich leider alle gelöscht…

Was können wir da tun?

Tja, was können wir da tun? Ich weiß es auch nicht so genau. Ja, vielleicht fände ich es sogar gut, wenn Instagram und Facebook ein ähnliches „Achtung, potentielle Lüge!“-Label einführen würde wie Twitter. Und das sage ich, die grundsätzlich ein Problem mit Zensur und Freiheitseinschränkungen hat. Aber irgendwo ist auch mal Schluss mit lustig, bzw. Schluss mit Lüge.

Was ich persönlich als ersten Schritt noch wichtiger finde, ist ein klares Sich-Positionieren von anderen großen Blogger*innen und Influencer*innen bzw. auch ganz normalen Menschen in Social Media. Viele tun das schon oder haben das getan, was super ist. Da können wir uns als Privatpersonen direkt anschließen oder das supporten.

Gerade im Bereich der bindungsorientierten Szene, der ich mich von meinen eigenen Überzeugungen nahe fühle, finde ich das besonders wichtig. Denn offenbar gibt es hier eine nicht unbeträchtliche Menge an Menschen, die offen für Schwurbelei und Wissenschaftsleugnung sind – oder sich sogar rechten Ideologien annähern. Ich finde, der Grundsatz „eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“ hat unter den Bindungs-Blogger*innen berechtigterweise ausgedient und kann auch mal durch klare Statements ersetzt werden. Die Recherche von Anne Dittmann hat hier einen guten Grundstein gelegt und ich finde: Da können wir gleich mit weitermachen!

Haltung ist das, was übrig bleibt, wenn das Licht ausgeht.

Damit meine ich nicht, dass wir denunzieren oder uns gegenseitig anbrüllen sollen. Ich habe in diesem Text bewusst keine Namen genannt (auch wenn diejenigen, die die entsprechenden Profile kennen, sie bestimmt wieder erkennen werden – aber ganz ehrlich: Diese Profile sind öffentlich und müssen insofern auch damit rechnen, kritisiert zu werden). Fernab von öffentlichem Anprangern konkreter Personen finde ich es einfach wichtig, selbst klare Haltung zu zeigen.

Die Haltung zum Beispiel, dass jedes Menschenleben wertvoll ist. Dass wir Rücksicht aufeinander nehmen. Dass wir in der Lage sein sollten, unsere persönlichen Vorteile mal hintenanzustellen, um andere Menschen zu schützen. Die Haltung, dass wissenschaftliche Evidenz einen Wert hat – im Gegensatz zu ausgedachten Ängsten und allzu simplen Antworten auf komplexe Probleme.

Haltung ist das, was übrig bleibt, wenn das Licht ausgeht, habe ich letztens gehört. Für mich fühlt es sich gerade schon ganz schön dunkel an. Deshalb lasst uns unsere Haltung nicht verlieren.

3 Kommentare zu „Haltung ist, was übrig bleibt, wenn das Licht aus geht

  1. Lena

    Liebe Sophie,
    ich kann Dir da nur aus vollem Herzen zustimmen. Ich beobachte die unkritische Nähe der BO-Blase zu rechtsesoterischen Kreisen schon länger (z. B. auch in der Freilerner-Bewegung) und es macht mir echt Bauchschmerzen. Im Rahmen der Corona – Pandemie erlebe nun eine neue Dimension der Wissenschaftsleugnung. Genau die Wissenschaftsleugnung, die bei der Leugnung des menschengemachten Klimawandel – zurecht – in alternativen Kreisen so angeprangert wird. Da kann ich mich richtig in Rage schreiben bei dem Thema. Danke, dass Du Deine Reichweite nutzt, um Dich zu positionieren!
    Viele Grüße aus der Essener Nachbarschaft,
    Lena

  2. Rita

    Danke für deine klaren Worte!
    Zum Glück habe ich in meinem persönlichen Bereich niemanden, der/die dieser Schwurbelei anheimgefallen ist, sondern fast nur umsichtige und aufgeklärte Menschen.
    Die Schwurbler:innen sind zum Glück nur eine Minderheit – aber eben leider eine übermäßig laute und gefährliche Minderheit.

  3. „Die Haltung, dass wissenschaftliche Evidenz einen Wert hat – im Gegensatz zu ausgedachten Ängsten und allzu simplen Antworten auf komplexe Probleme.“

    So sehe ich das auch. Danke für diesen Satz, der viel zusammenfasst von dem, um was es geht und gehen sollte.

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