15. Oktober 2019 Kategorie: Blogartikel
Das Leben eben
Heute habe ich einen vielleicht leicht vorwurfsvoll gemeinten Kommentar kassiert, der mich aber wunderbarerweise zum Nachdenken gebracht hat. „Unter Kinder haben und glücklich leben“, reagierte eine Leserin auf meinen Kommentar auf einer anderen Facebook-Seite, „darunter stelle ich mir wirklich etwas anderes vor, als keine Zeit mehr zum Leben zu haben“.
In meinem vorangegangenen Kommentar war es darum gegangen, dass meine Kinder keine zeitfressenden Hobbys haben, damit wir den Rest des Lebens noch halbwegs gewuppt kriegen. Manno, war meine erste innerliche Reaktion auf den Kommentar der Leserin, diese Antwort finde ich jetzt ganz schön gemein. Aber dann besann ich mich. Denn es stimmt ja: Auf diese Zeit meines Lebens werde ich später sicher nicht zurück blicken und denken: Herrlich, war das entspannt.
Ganz im Gegenteil: Ich durchlebe gerade eine sauanstrengende Phase und das lässt sich auch nicht schön reden. Dass meine Kinder keine zeitaufwendigen Hobbys haben, liegt nicht nur daran, dass das eine noch zu klein und das andere gefühlsstark ist. Es hängt auch damit zusammen, dass der Liebste und ich im Moment schon froh sind, wenn wir unseren normalen Alltag schaffen – ohne am Nachmittag noch zu diversen Terminen durch die Gegend gondeln zu müssen.
Das härteste Jahr meines Lebens
Das letzte Jahr war hart, vermutlich das härteste meines Lebens. Ich habe oft 20 Stunden pro Woche gearbeitet – und zwar ohne richtige Kinderbetreuung fürs Räupchen. Meine Arbeitszeit war immer dann, wenn der Liebste nicht gearbeitet hat. Oder am Abend und an den Wochenenden. Und ja, ihr ahnt es, Quality Time fürs Elternpaar war dadurch ziemlich rar. Überhaupt gab es in letzter Zeit zu wenig Zeit für die schönen Dinge. Freundschaften wurden vernachlässigt und ein Kino haben wir seit Jahren nicht mehr von innen gesehen, ganz zu schweigen von Theater- oder Konzertsälen.
Und trotzdem muss ich die Kommentarschreiberin von oben sanft korrigieren: Denn das alles fühlte sich ganz schön doll nach Leben an. Meine Arbeit ist nämlich fester Teil meines Lebens. Wenn ich meinen Beruf nicht ausüben kann, fühle ich mich schlecht, darüber habe ich hier schon mal gebloggt. Und im letzten Jahr habe ich zwar viel, manche würden sagen zu viel gearbeitet. Aber dafür habe ich mich auch ganz schön weiterentwickelt, habe wichtige Weichen gestellt und meinen beruflichen Werdegang für die Zeit geplant, da das Räupchen endlich in eine feste Betreuung gehen würde.
Für mich gab es nie die Wahl „Kinder oder Karriere“
Hätte ich die letzten zwei Jahre komplett in Elternzeit verbracht – niemals hätte ich die Chancen gehabt, die sich mir jetzt auftun. Für mich gab es nie die Wahl „Kinder oder Karriere“. Ich wollte und will immer noch beides! (Auch wenn ich unter „Karriere“ nicht unbedingt den klassischen Weg von Geld und Macht verstehe. Ihr wisst schon, wie ich das meine 😉).
Und ganz ehrlich: Ich bin total glücklich, dass wir beide, also der Liebste und ich, in den letzten Jahren die Möglichkeit hatten, gemeinsam unseren Weg zu gehen, beruflich wie familiär. Klar war es anstrengend, ist es immer noch anstrengend. Aber auch Anstrengung kann sehr glücklich machen. Ohnehin bin ich ein Mensch, der sich mit einem ordentlichen Arbeitspensum ziemlich wohl fühlen kann. Ich mag es, Pläne zu schmieden, mir Ziele zu stecken und Dinge zu erreichen.
Kinder und eigene Ziele vereinbaren
Seit ich Kinder habe, ist das deutlich schwerer geworden, denn natürlich bleibt mir durch die beiden nicht mehr so viel Zeit für tolle Pläne und ehrgeizige Ziele. Aber genau hier ist ja der springende Punkt: Ich habe es nämlich verdammt noch mal ziemlich gut geschafft, Kinder und eigene Ziele sehr gut zu vereinbaren. Klar hätte ich auch sagen können: Räupchen, du bist jetzt ein Jahr alt, ab in die Krippe. Ich hätte sie weinend da lassen können, ihre Signale übersehen, stoisch meinen eigentlichen Plänen folgen können.
Aber das habe ich nicht gemacht. Stattdessen haben der Liebste und ich uns in den letzten zwei Jahren fast beide Beine ausgerissen, um die Bedürfnisse unserer Kinder mit unseren eigenen zu vereinbaren. Wenn dafür am Ende ein paar Sporttermine hintenüber fallen, das Laternebasteln wieder ohne uns stattfindet oder das erste Musikinstrument noch warten muss – dann ist das halt so. Deswegen geht es uns nicht schlecht. Denn das ist, was es eben ist: Das Leben! Unser Leben.
In unserem Leben setzen wir die Prioritäten
In unserem Leben setzen wir die Prioritäten, wie sie sich für uns gut anfühlen. Leben, das war in den letzten zwei Jahren ein täglicher Balance-Akt aus beruflichen Terminen, Deadlines und neuen Aufgaben sowie der Betreuung unserer zwei noch ziemlich kleinen Kinder, die, wenn sie bei uns sind, quasi 100-prozentige Aufmerksamkeit fordern. Und zumindest ein Kind, das kleinere, war bis zum heutigen Tag fast rund um die Uhr bei zumindest einem von uns.
Aber gerade dieser Fakt, dass wir es möglich machen konnten, dieses zweite, besonders anhängliche Kind noch längere Zeit Zuhause zu behalten, fühlte sich ganz wunderbar nach Leben an. Denn trotz des ganzen Stresses, trotz ständiger Zeitnot und häufigen Zweifeln, waren diese zwei Jahre eine wunderschöne Zeit. Ich habe mein kleines Räupchen sehr gerne ganz nah bei mir gehabt und fühle mich im Rückblick wirklich wohl bei dem Gedanken, ihr das Trauma eines für sie (!) zu frühen Kitastarts erspart haben zu können.
Nein, ich habe wirklich nicht das Gefühl, zu wenig gelebt zu haben.
Nein, ich habe wirklich nicht das Gefühl, zu wenig gelebt zu haben. Ich habe sehr viel gelebt, vor allem Glück, Nähe und Liebe. Genau das habe ich auch einem meiner ältesten Freunde gesagt, den ich letzten Samstag auf ein Bier getroffen habe und der mich dabei leider sehr müde und ausgelaugt antraf. Ob es mir gut ginge? Ob er etwas für mich tun könne?, fragte er. Ja, sagte ich, an einem Samstag Abend mit mir Bier trinken, genau das kannst du für mich tun. Auch wenn ich müde und kaputt bin. Weil es mir trotzdem richtig gut geht und weil es so gut tut, dich zu sehen.
Es gibt eben Phasen im Leben, die sind ein bisschen ruhiger. Und dann gibt es Phasen, die sind ein bisschen anstrengender. Und ehrlich gesagt denke ich, dass es im Leben mit (gefühlsstarken) Kindern ohnehin nur anstrengende und sehr anstrengende Phasen gibt. Aber das ist ein anderes Thema. 😉 Anstrengend, das kann nämlich trotzdem sehr schön sein. Für mich jedenfalls.
Es wird nicht ewig so anstrengend bleiben
Und wisst ihr, was am Schönsten ist? Die Aussicht darauf, dass es bald ein bisschen leichter wird. Denn ewig wird das Räupchen ja nicht ausschließlich Zuhause betreut werden. Genau genommen nur noch bis November, denn dann fängt sie bei unserer wunderbaren Tagesmutter an und ich werde wieder in den Genuss halbwegs regelmäßiger Arbeitszeiten kommen.
Klar wird es auch dann bestimmt oft noch stressig sein. Aber so ist das Leben eben, mein Leben. Für andere wäre das vielleicht nix. Aber für mich gehört das so. Gut, dass wir noch mal drüber gesprochen haben. 😉
Sehr schöne und richtige Gedanken. So empfinde ich es auch. Für uns war es z.B. wahnsinnig anstrengend, als die Kinder noch sehr klein waren – als ich dann noch die Masterarbeit schreiben musste, lag mein Sozialleben total auf Eis. Es gab eigentlich nur Kinder, Arbeiten und die Masterarbeit und das ganze mit Schlafentzug (ein typisches Elternleiden^^). Tatsächlich wurde es bei uns aber mit den Jahren wieder viel besser und die Kinderbetreuung ist tatsächlich ein wichtiger Pfeiler in diesem Glück.
Da hast du aber auch einen Leistungs-Marathon hinter dir, puh. Super, dass ihr das gepackt habt!
Das kennen wohl alle aktiven Eltern…. So ist es eben, man muss Prioritäten setzen, wenn die Kleinen klein sind. Es sind ja auch die eigenen zeitaufwendigen Hobbys… Ich gehe trotz wirklich dollen Jogginghasses joggen statt klettern, treffe Freunde in der Mittagspause statt abends, und früh im Bett sein ist meine me-time. Mag auf Kinderlose abschreckend wirken, keine Frage! Ich finde es meistens toll.
Und ich freue mich drauf, mit 50 wieder so richtig ins Klettern einzusteigen, mit stundenlangen Sessions abends an der Wand, und wieder die Kinogängerin von früher zu werden. Alles zu seiner Zeit.
Erklär mir mal, wie du das machst, trotz Jogginghass joggen zu gehen. ? Wir wollten ja eigentlich unsere Babysitterin nun auch mal abends engagieren um auszugehen. Nachdem wir nun die Kita gekündigt haben, brauchen wir sie doch wieder am Vormittag… Naja, aufgeschoben ist nicht aufgehoben, ne? ?
Ein sehr schöner Artikel! Ich glaube auch, dass in jeder Lebensphase etwas anderes „das Leben leben“ ist. Seit ich Kinder habe, habe ich erst richtig das Gefühl, dass das Leben um mich herum tobt, dass ich mitten drin bin in dem, was ich früher und auch heute als „das Leben“ verstanden habe. Ich denke sogar so sehr tobendes Leben werde ich selten wieder um mich herum spüren. Mit all der Anstrengung, all den intensiven Momenten, mit all den Hochs und Tiefs. Vielleicht ist es genau das, was mich fühlen lässt, dass ich gerade mitten drin bin im tobenden Leben: Mit Kindern habe ich viel höhere Hochs und viel tiefere Tiefs als ohne. Natürlich hängt es sehr davon ab, wie man das Leben allgemein sieht, was man sich früher, als man jung war, als „das tobende Leben“ vorgestellt hat. ich hab mich phasenweise eher im Studium als „am Leben vorbei lebend“ gefühlt, trotz vieler Partys und Kultur und durchtanzter und durchlernter Nächte. Ich hatte irgendwie das Gefühl, das ist die STudienblase, aber nicht „das Leben“. Ich habe auch diese Phase sehr genossen, mich aber gerade auch gegen Ende oft in dieser Blase gefangen gefühlt. Ich wollte was leisten, endlich „richtig“ arbeiten, und kurz danach kamen auch schon die Kinder, weil die für mich schon immer zum „richtigen Leben“ dazugehört haben. Ich denke das ist der Punkt: Wenn Kinder schon immer zur Vorstellung dazugehört haben, fühlt man sich nicht „leblos“ oder „aus dem Leben draußen“, sondern im Gegenteil, so richtig richtig drin. Nicht, dass das Leben nach den Kindern nicht weitergeht, das gar nicht. Ich habe viele Ideen, wie ich das fülle, und es entlastet mich sehr, dass ich weiß, ich muss jetzt gerade nicht alles haben, alles im Leben hat seine Zeit. Und vieles kommt wieder. Und genau wenn ich über all das nachdenke, spüre ich, wie ich dieses anstrengende, tosende Leben liebe. Da könnte ich gleich schon wieder überschäumen vor Glück, dass das Leben so ist wie es ist, dass alle gesund sind, dass ich das Glück habe, das erleben zu dürfen. Das ist das Leben, ist doch mega. Trotzdem bin ich müde, drei Kinder zwischen 2 und 7 fordern ihren Tribut, die Arbeit fordert, Partnerschaft will gelebt werden, natürlich ist es alles gleichzeitig. Aber wie könnte ich bei all dem, was so lebendig ist, nicht das Gefühl haben, am Leben teilzunehmen? Ich kann verstehen, wenn manche vielleicht das Gefühl haben, sie verpassen Kultur, Zeit für sich, Freiheiten von früher, total. Aber für mich wollte ich es gerade jetzt nicht anders haben. Und darauf kommt es an, dass man immer „auf der aktuellen Welle surft“ und sich nicht dauerhaft danach sehnt, woanders sein und etwas anderes tun zu wollen. Wenn man das fühlt, dann ist man mitten im Leben. Wenn nicht ist es Zeit, was zu ändern, denke ich.
Spannend, was du beschreibst. Ich nehme es ähnlich wahr wie du, wenn auch verspätet. Ich habe eher jetzt manchmal das Gefühl, dass das hier „nicht das echte Leben ist“ – dann nämlich, wenn ich mal wieder ohne Kinder unterwegs bin. Dann kommt mir irgendwie schnell alles so oberflächlich und sinnlos vor. Damit will ich gar nicht sagen, dass das Leben anderer, evtl. kinderloser Menschen tatsächlich so ist. Aber für mich passt das gerade irgendwie nicht. Vielleicht habe ich mich aber auch einfach zu sehr an das Zusammensein mit Kindern gewöhnt, an ihre Ehrlichkeit und Direktheit, dass der Umgang mit teils gekünstelten Erwachsenen schwer fällt. Ich finde einfach nicht mehr so gut in meine Rolle. Vielleicht ist das aber auch genau gut so.
Das mit dem Umgang mit Erwachsenen in der „Welt da draußen“ unterschreibe ich so. Wenn ich – vor allem auch beruflich – unterwegs bin und manche Diskussionen mithöre oder sogar mitmachen muss, fällt es mir oft schwer, wie kompliziert und unpragmatisch manches diskutiert wird. Da schlägt die pragmatische Haltung, die man sich mit Kindern so aneignet eindeutig bei mir durch. Ich trenne berufliches und privates sehr gern ziemlich strikt, einfach weil es so für mich besser funktioniert, aber bei solchen Gefühlsregungen weiß ich, dass das eindeutig aus dem aktuellen privaten Lebensgefühl heraus kommt. Und das stimmt, die „Außenwelt“ kommt mir dann auch schnell oberflächlich vor. Ich denke es hängt eben stark davon ab, was man als „das echte Leben“ auch für sich und das eigene Leben definiert. Ganz sicher blicken andere auf mein Leben und denken sich boah, die ist ja voll weg vom Fenster in allem. Halt alles eine Frage der Perspektive, der eigenen Prioritäten. Da sag ich nur „leben und leben lassen“. Ich möchte jedenfalls nicht tauschen. Gefühlt habe ich seit ich Kinder habe tausend Facetten meines Ichs dazugewonnen (ja, auch die, die man nie wissen/haben wollte), ich empfinde mich als viel facettenreicher und tiefgründiger (ja, auch die Tiefen, die man besser verschweigen will) und habe Seiten an mir Kennengelernt, die ich sonst nicht kennengelernt hätte. Auch von dem her fühle ich mich sehr „reich“. Und ich kann mir (man verzeihe mir da die Einfältigkeit und das Unvermögen, mich in andere einzufühlen) nicht vorstellen, dass Menschen ohne Kinder bzw. ohne ähnliche Lebensherausforderungen sich selbst als so facettenreich und ja, auch aufgespalten und auch oft zwischen zwei Polen schwingend wahrnehmen. Wenn ich an mich ohne Kinder zurückdenke, empfinde ich mich als relativ gut zu greifende Persönlichkeit, die auch recht eindimensional (gar nicht so negativ gemeint, wie es sich anhört) war und die sich daher recht leicht selbst beschreiben und einschätzen konnte. Heute bin ich vielfältiger in meiner Persönlichkeit, aber auch widersprüchlicher, was mich dazu bringt, mich auch immer wieder mit mir auseinanderzusetzen. Gefühlt war ich vor den Kindern mir selbst relativ klar, wer ich bin, heute bin ich gefühlt manchmal so viele, dass ich gar nicht weiß, wo mir der Kopf steht. Puh das klingt nach gespaltener Eso-Persönlichkeit, aber so ists gar nicht gemeint, es ist halt irgendwie komplex zu beschreiben. Vielleicht ist es das: Ich bin jetzt mit Kindern so komplex wie nie und fühle mich deshalb so reich. und auch oft bekloppt 🙂