24. Mai 2020 Kategorie: Interview
1 Kommentar kinderbetreuung, Kita-Kind, kleinkind, vereinbarkeit
Corona-Interview: „Die Notbetreuung in der Kita läuft richtig schief“
Die Corona-Krise hat uns Familien eiskalt erwischt und ich lese täglich in den Sozialen Netzwerken und höre im Privatleben von den schwierigen Situationen, in denen viele von uns sich derzeit befinden. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ohne vernünftige Kinderbetreuung macht uns das Leben schwer. Unsere Situationen sind aber natürlich unterschiedlich und mich hat interessiert: Wie sieht es gerade ganz konkret in den Familien aus? Eine Leserin hat mir ihre Geschichte erzählt, in der ein Problem besonders hervorsticht: In der Kita-Notbetreuung läuft so einiges schief.
Liebe Isa*, du bist besonders von der Corona-Krise betroffen, da dein Mann und du beide in systemrelevanten Berufen arbeitet. Erzähl doch mal kurz, wie euer Alltag gerade aussieht.
Bei uns läuft es zur Zeit folgendermaßen: Meine Chefin hat eingewilligt, dass ich meine Arbeitszeit an drei anstatt vier Tagen leisten darf, damit meine Kinder nur an diesen drei Tagen in die Notbetreuung gehen müssen. Unser Wunsch an die Kita, unsere Kinder in diesen drei Tagen bis 15.00 Uhr anstatt wie üblich bis 14.00 Uhr zu betreuen, wurde nicht angenommen. Da musste ich schon das erste Mal schlucken, denn die Erzieherinnen sind ohnehin vor Ort.
Für uns bedeutet dies nun, dass ich als Erste um Punkt 7.00 Uhr im Büro des Gesundheitsamts sitzen muss. Mein Mann, der in einem Medizintechnikunternehmen (u.a. für Beatmungsgeräte & Sauerstoff) beschäftigt ist, übernimmt dann am Morgen die Kinder komplett und bringt sie zu 8.00 Uhr in die Kita. Er beginnt dadurch später und kommt leider dementsprechend auch erst spät nach Hause. Wir denken an unsere Kinder und ermöglichen so trotzdem nur drei Tage Kita.
Minusstunden gleiche in damit aus, dass aufgrund des Infektionsschutzgesetztes mein Arbeitsplatz auch an Feiertagen und Wochenenden besetzt sein muss. Da bin ich dann mit plus zwei Tagen im Monat dabei. Mein Mann muss ebenfalls Bereitschaftsdienste in der Nacht und am Wochenende leisten. Wir freuen uns also wirklich auf jeden richtig freien Tag!
Du hast mir erzählt, dass die Notbetreuung in eurer Kita ziemlich chaotisch läuft. Was geht da gerade schief?
Zunächst gibt es nur noch eine Übergabe an der Tür, das ist am Anfang wirklich befremdlich gewesen. Heute ist es eine große Zeitersparnis. Dann sind da aber noch einige Dinge, die wirklich schief laufen.
Zum Beispiel sah ich in den ersten Wochen mittags beim Abholen, dass die zwei Notgruppen gemeinsam draußen spielten. Infektionsschutz für Anfänger also mal erklärt: Die Gruppen sollten getrennt werden, damit das Infektionsrisiko so gering wie möglich ausfällt. Bei sieben Kindern an einem Dreirad ist das leider nicht richtig umgesetzt. Nach meiner Anmerkung dazu, sind es nun wirklich getrennte Gruppen. Dann waren es aber auf einmal drei Gruppen, dann wieder zwei, wobei unsere Gruppe auf die anderen aufgeteilt wurde…
Was mich daran stört: Meine Tochter ist gerade drei Jahre alt geworden und versteht nicht: Wieso, weshalb, warum? Wöchentlich wechseln die Erzieherinnen, die für sie zuständig sind. Zu denen hatte sie und wir bislang nur sporadischen Kontakt. Auf den Punkt gebracht: Wir kennen uns nicht.
Gibt es denn Differenzen mit den Erzieherinnen, die in der Notbetreuung nun neu für sie sind?
Ja, leider. Es gibt Erzieherinnen, die Erpressung und Drohungen wohl für geeignete Erziehungsmaßnahmen halten, so in dem Sinne von „Wenn du dies oder das nicht tust, dann holt Mama dich nicht mehr ab“. Manche Erzieher gehen selbst bei schönstem Wetter mit den Kindern nicht raus und setzen sie stattdessen vor Hörspiele auf Spotify. Und dann wurde meine Tochter auch schon „zur Strafe“ allein auf den Flur gesetzt.
Ich habe alle Vorfälle angesprochen, aber das Vertrauen ist total weg. Ich hätte wirklich am liebsten mein Handtuch geschmissen, aber mein Mann beruhigte mich dann und ich vertraue auch auf die Resilienz meiner Kinder.
Wir fühlst du dich jetzt in dieser Situation?
All diese Zwischenfälle machen mich fassungslos traurig und bescheren mir Alpträume. Meine Gespräche verliefen im Sand und ich erhielt nur Ausreden, Relativierungen und leere Versprechungen als Antwort.
Ich würde liebend gerne meine Kinder Zuhause betreuen und dieser Notbetreuung den Rücken kehren. Als erstes müsste ich dazu aber meinen Job kündigen und daran hängt natürlich unsere wirtschaftliche Existenz.
Glaubst du daran, dass sich in den nächsten Wochen oder Monaten etwas ändern wird? Wird euch von Seiten der Kita eine Perspektive aufgezeigt?
Es wird sich hoffentlich etwas ändern, damit meine Kinder in zwei Wochen wieder in ihren ursprünglichen Gruppen und bei ihren gewohnten liebevollen Erziehern sind. Falls nicht, werde ich spätestens nach den Sommerferien unbezahlten Urlaub nehmen. Ich kann nicht nachvollziehen, wie unterschiedlich Erzieherinnen in ein und derselben Einrichtung arbeiten.
Aber ehrlich gesagt werden die Probleme in der Kita vermutlich noch zunehmen. Mit den Vorschulkindern sind bei uns dann insgesamt ca. 40 bis 60 Kinder in Betreuung. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es auch im September keinen Regelbetrieb mit den gewohnten Gruppen geben wird.
Hast du das Gefühl, dass die Probleme, die sich in den konkreten Kitas ergeben, von oben gesehen werden? Von den Trägern, dem Jugendamt, der Stadt, irgendwem?
Sie werden gehört, aber auch die Jugendämter sind überlastet und werden mit immer wieder neuen Auflagen und Änderungen konfrontiert. Am Ende heißt es immer „Seien sie froh ihre Kinder überhaupt in die Kita bringen zu dürfen.“
Du arbeitest als Sozialarbeiterin für das Gesundheitsamt. Welche Erfahrungen machst du dort?
Genauer gesagt arbeite ich als Familiengesundheits- und Kinderkrankenpflegerin für die „Frühen Hilfen“ und betreue vulnerable Risikogruppen und Eltern in Krisensituationen. Davon gibt es jede Menge und leider werden diese aus meiner Sicht ebenfalls im Stich gelassen.
Meine eigentliche, gerade genannte Tätigkeit, wurde komplett eingestellt, da ich als medizinisches Personal die Nachverfolgung und Betreuung von Sars-CoV-2 positiven Menschen übernehmen muss. Ich bin mir sicher, dass die Probleme in den von mir betreuten Familien noch ganz andere sind, als mein Kita-Dilemma. Die Familien werden nur in Ausnahmefällen besucht. Kinder mit Behinderung erhalten kaum noch Therapie. Es ist keiner mehr da, der hinsieht.
Heute ist mir zu Ohren gekommen, dass Jugendgruppen aufgelöst wurden und die Kids zu ihren Ursprungsfamilien, in denen Gewalt und Missbrauch aufgedeckt wurde, zurück geführt werden.
Ich frage mich dabei, was schlimmer ist: Corona oder die Gewalt hinter verschlossenen Türen?
Hast du den Eindruck, dass Kinder aus schwierigen sozialen Verhältnissen adäquat geschützt oder gefördert werden können?
Kinder aus Familien, die einen Bildungs- und Teilhabeanspruch beim Jobcenter bewilligt bekommen haben, dürfen immerhin in die Notbetreuung. OGS (Offener Ganztag, also Nachmittagsbetreuung) in Grundschulen sieht aber z.B. derzeit so aus, dass sie ihr Spielzeug selber mitbringen müssen und dann an ihrem Einzeltisch mit Abstand zueinander ihre Zeit absitzen müssen. Das klingt weder nach Förderung, noch nach einer schönen Auszeit.
Ich weiß leider, dass die Leistungsunterschiede noch weiter auseinander driften werden. Diese Kinder können keine Monate Homeschooling nachholen und Zuhause kann auch nicht jeder alles seinen Kindern beibringen.
Welche Zukunft siehst du für dich und deine Familie? Was würdest du dir von der Politik wünschen, um eure Situation zu erleichtern?
Gesehen zu werden. Unsere Kinder sollten Priorität sein. Sie sind die Zukunft. Dänemark als Beispiel zeigt Wege auf, bei denen Familien nicht vergessen werden.
Was denkst du, könnten auch andere Eltern tun, die sich in einer ähnlichen Situation befinden?
Schreibt an die Ministerien. Macht euch nicht klein. Werdet laut. Wenn nicht für euch selbst dann für eure Kinder. Seht hin und verschließt nicht die Augen.
*Den Namen der Interviewten habe ich aus Diskretionsgründen geändert.
Hast du auch Lust, aus deinem Familienleben in Zeiten von Corona zu erzählen? Dann melde dich gerne für ein Interview bei mir! Schreib mir eine Mail an: mail[at]kinderhaben.de.
Danke für das interessante Interview. Hier in Sachsen haben KiTas und Schulen wieder jeden Tag geöffnet und ich freue mich, dass in unserem Fall alles gut und strukturiert abläuft. Zwar wurden im Kindergarten zwei Gruppen jeweils zusammengelegt, was nicht ganz dem Infektionsschutz entspricht, aber für Eltern können auf diese Weise länge Betreuungszeiten angeboten werden (7:30 bis 16:30 Uhr). Damit ist für viele Eltern schon (fast) wieder ein normales Arbeiten möglich und der Alltag kehrt zurück. Vor allem aber geht es den Kindern gut. Endlich kein Homeschooling mehr!