Schafft die Kleinfamilie ab!

Das Leben als Kleinfamilie ist prima – bis auf die Tatsache dass es mir irgendwie so scheint, als würde dieses künstliche Familienkonstrukt manchmal zu stark respektiert. Das ist doch Quatsch, denn das Leben ist viel schöner (und einfacher) wenn man es mit vielen teilt!

Am vergangenen Wochenende war ich „Strohwitwe“, wie meine Mama den vorübergehenden Allein-Status der Frau nennt, wenn der Mann für eine begrenzte Zeit verreist ist. Der Mann war nämlich auf so einer Männertour: Eine Horde Mittdreißiger schließt sich dabei in einem Ferienhaus abseits jeglicher Zivilisation ein und benimmt sich für ein paar Tage ebenfalls abseitig zivilisiert: spielt Tischtennis im Wohnzimmer des Ferienhauses, ernährt sich hauptsächlich von gegrilltem Fleisch (oder Fleischersatzprodukten) und raucht verschiedenste Substanzen. Das Wichtigste für den Mann war aber vermutlich: Endlich mal wieder ausschlafen! Es sei ihm gegönnt. Ich hatte derweil ein sehr schönes Exklusiv-Wochenende mit dem Hübchen, das sowohl Mutter als auch Kind sehr genossen haben. Im Alltag sieht man sich ja sonst so selten.

Nun kann so ein langes Wochenende allein mit Kleinkind jedoch schon mal sehr lang werden – wenn das Kind mal wieder zu viel quengelt, den fünften Wutanfall an ein und demselben Tag bekommt oder immer alles sofort haben und machen will. Vielleicht reicht es auch schon, dass man vier Tage hintereinander ganz allein die tägliche halbe Stunde „Ich-hasse-mich-und-mein-Leben-und-weiß-sowieso-nicht-was-ich-will“ des temporär totunglücklichen Kleinkinds ertragen muss.

Allein mit Kleinkind ist ganz schön anstrengend

Und dann muss man auch immer alles allein aufräumen, kochen, den Tisch decken und die heruntergefallenen oder ausgespuckten Essensreste wegsaugen bevor diese eine Demokratie entwickeln, das Kind baden, unter Geschrei anziehen und stundenlang ins Bett bringen – denn na klar, wenn die Mama schon mal da ist, dann lässt man die doch nicht einfach gehen, da muss im Bett noch getobt und gekuschelt, vorgelesen und Geschichten erzählt werden – wer denkt da schon an Schlafen?

Damit so ein langes Wochenende allein mit Kleinkind mir also nicht zu lang wurde, hatte ich mir schon im Vorhinein einige Dinge vorgenommen und Freunden Bescheid gesagt, mit denen Hübi und ich Dinge unternehmen wollten. Zum Glück war das Wetter einfach fantastisch und so wurde es ein tolles Wochenende mit einem Besuch in Köln, einem Tag am See und einer ausgedehnten Shopping-Tour, wobei der Sohn sich sogar bei letzterem Punkt für seine Verhältnisse vorbildlich benahm. Und das Beste: Wir haben in kurzer Zeit so viele verschiedene Freunde getroffen wie schon lange nicht mehr.

Unsere Wochen sind durchgetaktet

Denn leider sieht unsere Realität oft anders aus, seit wir eine kleine dreiköpfige Familie sind. Unsere Woche ist komplett durchgetaktet: Einmal die Woche mache ich „kurzen“ Tag (haha, soll heißen, ich hole das Kind um 17 Uhr von der Tagesmutter ab) und der Mann darf länger arbeiten, einmal gehe ich reiten, einmal geht der Mann zum Yoga, am nächsten Tag dann ich, und dann spielt der Mann noch Fußball. All diese Dinge sind wichtig für uns, weil sie uns am Leben erhalten (und Rückenschmerzen vorbeugen).

Das Problem ist nur: Der Mann und ich sehen uns unter der Woche dafür meistens erst nach 21 Uhr, manchmal noch später. Klar, dass wir daher die Wochenenden nutzen, um ganz viel Familien- und Ehepaarzeit nachzuholen. Allzu oft machen wir uns also ein entspanntes Wochenende zu dritt, was wir wahnsinnig genießen nach der vollgepackten Woche: Wir machen kleine Ausflüge oder bleiben bei schlechtem Wetter auch einfach mal Zuhause, backen Kuchen (also ich) oder saugen mal wieder gründlich die Bude (also der Mann). Wenn wir so in unserem kleinen Kosmos leben und im Familienglück schwelgen, sehen wir unsere Freunde leider viel zu selten.

Zu viel Respekt vor dem „Modell Kleinfamilie“?

Das Interessante ist: Es wäre grundsätzlich gar kein Problem, wenn Freunde an einem verregneten Sonntag spontan vorbei kämen, denn der Kuchen ist eh zu groß für zwei Erwachsene und eine halbe Portion Kind (die eh nicht so viel Zucker soll). Es wäre auch super, wenn Freunde uns des Öfteren auf einem unserer kleinen Familienausflüge begleiten würden. Nur organisieren wir das eben viel zu selten, weil wir selbst erst spontan entscheiden oder weil wir einfach nicht daran denken oder auch keine Lust haben, Massennachrichten zu verschicken um Fritz und Franz Bescheid zu sagen, was unsere Pläne fürs Wochenende sind oder sein könnten.

Und unsere Freunde kommen einfach nicht so oft spontan auf uns zu oder sagen uns Bescheid, wenn sie etwas planen. Woran das wohl liegt? Ich habe die Befürchtung, dass es auch mit dem deutschen Modell der Kleinfamilie zu tun hat, das in unserer Kultur sehr respektiert wird. So eine glückliche Kleinfamilie erstrahlt vielleicht gerade für Menschen, die (noch) keine Kinder haben in heiligem Glanz – und sie will bitte nicht zu oft gestört werden, weil sie ihre Perfektion allzu gerne geschlossen genießt!

Ich habe manchmal das Gefühl, andere (kinderlose) Menschen haben schnell das Gefühl, uns zu stören, wenn sie unangemeldet vorbeischauen oder haben manchmal Angst, sich fehl am Platz zu fühlen, wenn sie uns auf einen Ausflug begleiten würden. Eine frühere Freundin fragte mich einige Monate nach Hübis Geburt sogar, ob sie mich überhaupt noch anrufen könne und wenn ja, wann. Naja, dachte ich, wie wäre es mit: immer? Wenn ich nicht dran gehe, dann kann ich eben gerade nicht und dann rufe ich zurück. Das würde aber jede kinderlose Frau genauso halten. Ebenjene Freundin hörte mit der Geburt meines Sohnes auch auf, mich zu abendlichen Treffen einzuladen. Es gab sicher noch andere Gründe, warum unsere Freundschaft auseinander ging, jedoch bemerke ich, dass auch Kontakte zu Menschen, die weiterhin meine Freunde sind, zwar nicht weniger eng, aber doch seltener geworden sind.

Dann lieber das gallische Dorf

In unserer (städtischen?) Kultur ist es allzu leicht, sich abzugrenzen und über längere Zeit so vor sich hinzuwurschteln und es gestaltet sich im Gegenteil schwierig, alltägliche soziale und freundschaftliche Kontakte zu pflegen. Im kiddothekid-Blog beschreibt eine Gastautorin, wie sie sich das Leben mit Kind eigentlich wünschen würde und nutzt dafür auf extrem amüsante Weise den Vergleich mit dem berühmten gallischen Dorf aus den Asterix-Comics:

Ich will das gallische Dorf. […] Dort, wo die Strohdächer bis zum Boden reichen. Wo ein kleiner Bach an den Hütten vorbei glitzert. Wo mein Mann morgens das Kind mit runter in den Fischladen nimmt, damit es friedlich in den Dorsch-Eingeweiden spielt und ich noch ne Runde in den Federn bleiben kann. Nach der Geburt bekomme ich vom Druiden frische, bitter riechende Kräuter, die meine Blutung stoppen, und Troubadix singt meine Tochter stundenlang in den Schlaf. Man kennt sich. Man hilft sich. Es gibt immer einen Arm für das Kind und einen Topf Essen für die Mama. Es gibt keine Termine, keine Öffnungszeiten und keine Krümel auf dem Boden (hier kommt Idefix ins Spiel). Ich bin nicht den ganzen Tag allein mit dem Kind, weil man die obere Hälfte der Haustür öffnen kann und alle paar Minuten jemand freundlich reinguckt und mir Kuchen reinreicht oder Zaubertrank gegen diese lästigen Blähungen (thanks, Beckenboden!).“

Im gallischen Dorf nämlich, da wohnt man so nah beieinander, da stehen eh immer alle Türen offen und alle Bewohner lieben Kinder, sodass man als Mutter oder als Kleinfamilie nie allein ist und sich sogar immer auf die Hilfe anderer verlassen kann.

Bei uns lebt jede Kleinfamilie für sich

Vom gallischen Dorf sind wir jedoch insbesondere in deutschen Großstädten weit entfernt. Hier lebt jede Kleinfamilie schön geordnet für sich und wenn man jemanden treffen will, dann verabredet man sich gefälligst. Und das tut man, sobald man Mutter (oder Vater) geworden ist, am besten aus Eigenantrieb, denn irgendwie trauen sich plötzlich viele nicht mehr so recht, auch einfach mal spontan anzurufen, weil man könnte ja das Kind wecken (oder so).

Interessanterweise habe ich genau eine Freundin, die sich auch schon mal ganz spontan meldet und einfach irgendetwas vorschlägt. Diese Freundin hat ebenfalls ein Kind. Und sie weiß, dass solche spontanen Anrufe wirklich oft Erfolg haben und dass die andere Familie (also wir) nur einfach mal wieder einen faulen Sonntag genießt und bloß selbst nicht auf die Idee kommt, von sich aus Freunde anzurufen. Meine kinderlosen Freunde dürften das ruhig auch häufiger machen! Spontaner Besuch ist nämlich sogar noch schöner als lange zuvor geplanter!

Die Kleinfamilie ist doch nur eine Nachkriegserfindung

Es gibt wirklich keinen Grund für zu viel Respekt vor der Kleinfamilie. Ich finde die Kleinfamilie eigentlich eh doof. Ich bin auch völlig genervt von Sätzen wie „Das Kind gehört in den ersten drei Lebensjahren zur Mutter (gemäßigtere Stimmen würden vielleicht noch sagen: zu den Eltern)“. Denn die Kleinfamilie, in der ein oder mehrere Kinder behütet zwischen Mama und Papa aufwachsen, ist eine Nachkriegserfindung, die nur ein paar Jahrzehnte Bestand haben konnte – jene Jahrzehnte nämlich, in denen Frauen vernünftige Hausfrauen zu sein hatten und der Mann noch darüber entscheiden durfte, ob seine Frau einem Ehrenamt nachgehen durfte oder wie oft sie ihn „zu sich zu bitten“ hatte.

In der Zeit davor wuchsen Kinder in der Regel in einem großen Familienverband auf, da kümmerten sich nicht nur die leiblichen Eltern um die Kleinen, sondern selbstverständlich auch die Großeltern, Onkel, Tanten, Freunde und großen Geschwister. Heute übernehmen Tagesmütter, Kitas und Ganztagsschulen diese Rolle, denn glücklicherweise werden Frauen heute nicht mehr dazu gezwungen, ausschließlich Hausfrauen sein. Ich finde nicht, dass es „schädlich“ für Kinder ist, auch andere soziale Kontakte zu haben als nur zu den eigenen Eltern. Ganz im Gegenteil sehe ich, dass mein Sohn andere Kontakte einfordert und dass sie ihn, neben der Liebe und Zuwendung seiner leiblichen Eltern, zu einem selbstbewussten und autonom handelnden kleinen Menschen machen.

Lasst die Eltern nicht allein!

Natürlich mag ich meine Kleinfamilie. Es ist schön, Mama, Papa und Kind zu sein, mir macht das wirklich Spaß. Vielleicht wird es aber Zeit, die Kleinfamilie wieder ein kleines bisschen abzuschaffen. In irgendeinem Blog habe ich mal den Standpunkt einer Autorin gelesen, die bedauerte, dass Familien zur Geburt des zweiten (oder dritten, oder vierten) Kindes oftmals nur wenig bis gar keine Unterstützung mehr erhalten. Getreu dem Motto „Ihr wisst ja jetzt, wie’s geht“ oder auch erneut aus dem Gefühl heraus, die nun etwas größere Kleinfamilie nicht stören zu wollen, melden sich deutlich weniger Freunde oder Familienangehörige als nach dem ersten Kind, um in den anstrengenden Wochen nach der Geburt ein bisschen zu helfen oder auch nur ein offenes Ohr zu haben.

Ist das nicht ein beeindruckendes Zeugnis unserer Kultur? In keiner noch ursprünglicheren Kultur wäre es vorstellbar, dass eine frische Mutter und der dazugehörige Vater nach der Geburt eines neuen Babys allein gelassen würden! Und auch bei uns sollte es eigentlich selbstverständlich sein, dass Freunde und Familie im Haushalt helfen, Essen vorbeibringen oder auch einfach mal zuhören, wenn die Mutter von der Geburt erzählen will.

Egal, was alle CSU-Politiker dieser Welt so von sich geben – die Kleinfamilie ist nicht heilig! Es ist schön und manchmal sogar dringend notwendig, sie zu stören, ihr Hilfe anzubieten oder einfach weiterhin teilzunehmen am Leben der Eltern und des neuen Kindes. Denn es wäre zu schade, wenn Freundschaften einschliefen, nur weil die eine Seite nicht stören will und die andere Seite es einfach mal wieder nicht geschafft hat, ihre Ausflugspläne mit der einen Seite zu teilen.

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