Romantisch reaktionär

Am Wochenende war ein ganz besonderer Tag: Es jährte sich der Tag, an dem der Mann und ich einfach mal geheiratet haben. So richtig mit Anzug, weißem Kleid, einer großen Hochzeitsgesellschaft, die fast (aber zum Glück nur fast) die Standesamt-Kapazitäten gesprengt hätte und einer noch größeren Meute, die am selben Abend bis in die Morgenstunden unser Glück mit uns gefeiert hat. Es war eine Party, auf der wir mit Barry White die Tanzfläche eröffneten, eine Party, auf der unsere DJ-Freunde auch den Universal-Tellerwäscher auflegten, auf der es keine Sitzordnung, aber dafür Anker-Tattoos für alle gab und auf der das Brautpaar am Ende von allen Anwesenden am vollsten, entspanntesten und sowieso glücklichsten war. Kurz: Sich daran zurückzuerinnern ist eine Freude und wir lieben Hochzeitstage! Doch jetzt lese ich mit Schrecken: Heiraten ist reaktionär und verdammt Frauen zur Unfreiheit. Wie kann das sein?

Vor einigen Tagen wurde in den sozialen Netzwerken ein Artikel geteilt, in dem es heißt:

„Die Ehe ist der erfolgreiche Versuch, die Frau anzubinden. Ans Bett, an den Mann, die eigenen Kinder, die Sippe, die Glaubensgemeinschaft und so fort. Damit die Ehe aber nicht als hässliches Herrschaftsinstrument daher kommt, lud man sie mit allerhand Kitsch und Humbug auf. […] Heiraten ist nicht modern, sondern kapitalistisch, altmodisch und reaktionär.“

Bamm! Da wirft man mir mein romantisches Modell vor die Füße. Du glaubst, du seist eine emanzipierte Frau? Eine Feministin? Unabhängig, ehrgeizig und karriereorientiert? Du und dein Mann teilt euch Haushalt und Kinderbetreuung 50:50 auf? Na und! Mit Trauschein zählt das alles nix!

Aber ich nenne das doch Romantik!

Ich fühle mich ertappt, wenn von „Kitsch und Humbug“ die Rede ist. Hilfe, ich nenne das doch Romantik! Ist es etwa nicht romantisch, wenn ein Mann und eine Frau sich treffen und von da an nur noch aneinander denken können? Der Mann und ich, wir haben in den letzten Jahren eine Fernbeziehung überstanden, uns gegen die bornierte Familie des Mannes behauptet, wir haben das Vermissen nicht mehr ausgehalten und auf 12 Quadratmetern gemeinsam im Ausland gelebt, ein Kind bekommen und unser Familienglück genossen.

Wir haben uns unterstützt, uns gestritten, voneinander gelernt und uns immer noch mehr geliebt. Wir sind das Paar, das sich gemeinsame Träume erfüllen will und so kitschige Sachen denkt wie „Zusammen schaffen wir das“ und „Solange wir zusammen sind, müssen wir uns keine Sorgen machen“ weil wir nicht nur von Dingen träumen wollen, sondern fest davon ausgehen, dass wir uns auch alles erfüllen werden, was wir uns vornehmen.

Wir sind die beiden, die tatsächlich aus romantischer Überzeugung mit einer großen Party und allen unseren Freunden geheiratet haben, weil eine Hochzeit für uns bedeutet, unsere Liebe öffentlich zu machen. Einfach weil wir uns so gefreut haben und weil wir uns wünschten, diese Freude mit allen, die sich mit uns freuen wollten, zu teilen. Weil Heiraten eine schöne Idee ist, um zu sagen: Hurra, wir haben uns gefunden und wir wollen zusammen sein – kommt und feiert das mit uns!

Was bleibt nach all dem Kitsch?

Na, würgt ihr schon von so viel Kitsch? Ja, wir können manchmal so romantisch sein, dass es weh tut! Und auch nach einem Jahr teilweise wahnsinnig unromantischer Ehe, mit Pendlerstress und Tagesmutter-Wahnsinn, Familien-Psychoterror und so mancher emotionaler Erschöpfung geht es uns gut; wir halten unser Glück hoch und brüsten uns damit, eins von diesen „echten“ Paaren zu sein, die Recht hatten mit ihrer Hochzeit. Kurzum: Wir sitzen auf einem sehr hohen Ross. Wir sind so romantisch und gleichzeitig modern und gleichberechtigt, dass uns schon ganz schwindelig wird vor so viel Glück. Und unsere Hochzeit kloppte da noch einen Stempel drauf. Potenziertes Glück, gestempelt und beglaubigt, herzlichen Glückwunsch. Und obendrauf gab’s noch die Steuervorteile. Und jetzt soll genau dieser Stempel reaktionär sein? Schlimm und schlecht? Kann doch gar nicht sein!

Tja, kann es vermutlich doch. Nämlich dann, wenn man blind vor Romantik wird. Zum Beispiel dann, wenn Frauen jahrelang beruflich zurückstecken, um sich um die gemeinsamen Kinder zu kümmern und später, wenn die Romantik irgendwann dann doch weg und die Scheidung durch ist, mit ein paar jämmerlichen Rentenpunkten und ohne gut bezahlten Job dastehen um schnurstracks Richtung Altersarmut zu laufen. Wenn ein Ehepartner seine Wünsche zurückstellt, sich nur nach dem Partner oder dem (angeblichen) Wohle der Kinder richtet, wenn nur noch das „Wir“ und gar nicht mehr das „Ich“ zählt, dann ist die Ehe eine Falle, die Unfreiheit bedeutet.

Fehler passieren auch ohne Trauschein

Meine Vermutung ist jedoch: Solche „falschen“ Entscheidungen, für die insbesondere Frauen später die Packung kriegen, weil sie häufiger ihre Berufe aufgeben oder die Arbeitszeit reduzieren als Männer, gäbe es auch ohne die kirchliche oder staatliche Institution Ehe zuhauf. Auch in Partnerschaften ohne offiziellen Trauschein kann man diese Fehler machen und später die Folgen zu spüren kriegen. Und weil Liebe nun mal blind macht, neigen Menschen dazu, solche und ähnliche Fehler zu begehen.

Um eine gleichberechtigte Ehe führen zu können, muss man in einem Staat mit einem vorsintflutlichen Steuermodell wie dem Ehegattensplitting auch schon mal selbst ausrechnen, wer sich mit wie viel Geld am Haushalt beteiligt und wer vielleicht sogar „Ausgleichszahlungen“ an denjenigen Ehepartner leistet, der vermehrt zuhause bleibt um die Kinder zu hüten und den Haushalt zu schmeißen. Um der Katastrophe zu entgehen, nach einer Trennung ohne Arbeit und ohne Geld dazustehen, ist es vielleicht klug, wenn beide Ehepartner weiterhin einen Beruf ausüben und auch abklären, wie gemeinsam und für beide ausreichend fürs Alter vorgesorgt wird und was damit im Trennungsfall passiert.

Unsere Ehe ist keine Symbiose

Es wäre toll, wenn hier nun ein Absatz folgen könnte, in dem ich das gesamte System der staatlichen Ehe anprangern würde und Verbesserungsansätze vorschlagen könnte. Ich bin aber leider gar nicht so gut drin in diesem Thema und verschone euch daher lieber mit gefährlichem Halbwissen. Für mich sieht die Lösung bisher einfach so aus: Wir verbessern im Privaten, was im Offiziellen nicht für uns geregelt wird. Auch wenn es unromantisch ist, sind wir uns bewusst, dass wir das „Bis-dass-der-Tod-uns-scheidet“ nicht unserer gesamten Lebensplanung zugrunde legen dürfen. Wir leben nicht in einer Symbiose, auch und gerade finanziell gesehen nicht.

Vielleicht ist unsere Beziehung und Ehe auch deswegen so romantisch und bisher zufriedenstellend harmonisch, weil wir sie eben vor allem auf unsere Gefühle beziehen und in allen anderen Bereichen (Geld, Haushalt, Karriere) durchaus von zwei individuellen Personen ausgehen. Romantisch gesehen sind wir eine Einheit (naja, zumindest meistens), auch unsere generelle Lebensplanung stimmen wir natürlich aufeinander ab (Fernbeziehung ist nichts für uns, so viel ist klar), aber es ist für uns und unsere Beziehung fundamental wichtig, dass wir zu jeder Zeit unsere individuelle Unabhängigkeit bewahren. Dazu gehört eben auch, die Prozentrechnung zu bemühen um die Anteile an den Haushaltskosten gerecht zu verteilen. Dazu gehört auch das gewissenhafte Führen eines gemeinsamen Kalenders, in dem steht, wer wann länger arbeiten darf, wer wann das Kind abholt und wer wann zum Sport geht.

Die individuelle Unabhängigkeit bewahren

Klingt das jetzt unromantisch? Dann schnell noch mal den Kitsch-Abschnitt weiter oben lesen! Vielleicht müssen wir einige Sachen aber einfach streng planen und ganz unsymbiotisch mal vermehrt unsere eigenen Bedürfnisse in den Blick nehmen, damit eine romantische Beziehung überhaupt dauerhaft möglich ist. Irgendwo habe ich neulich gelesen (dummerweise mal wieder kein Lesezeichen gesetzt), wie eine Frau davon berichtete, auf einem Kindergeburtstag im Kreise von etwa 10 Müttern gesessen zu haben, von denen bis auf zwei alle geschieden und alleinerziehend waren. Die beiden Frauen, die nach wie vor glücklich verheiratet waren und in einem funktionierenden Familienmodell lebten, waren im Gegensatz zu den ganzen geschiedenen diejenigen, die trotz Ehe und Kind weiterhin einen Beruf ausübten und die sich auch die Hausarbeit 50:50 mit ihrem Partner teilten. Zufall? Wohl kaum!

Die kapitalistische, altmodische und reaktionäre Ehe, in der einer der Partner, meistens die Frau, sich abhängig macht und in Unfreiheit lebt, löst sich diesem Beispiel nach also irgendwie ganz von selbst wieder auf. Die Abhängigkeits-Ehen überleben allzu oft eben gar nicht bis dass der Tod sie scheidet. Hand aufs Herz: Wie viele vierzig- bis fünfzigjährige Frauen kennt ihr, die spätestens wenn alle Kinder ausgezogen sind, sagen: Jetzt reicht’s! Die ihre Sachen packen und endlich mal wieder ihre eigenen Träume und Wünsche verwirklichen wollen. Statistisch gesehen werden die allermeisten Scheidungen von Frauen eingereicht. Grund dafür ist sicher nicht, dass Männer generell einfach genügsamer wären und den Arsch nicht hoch kriegen um selbst die Scheidung einzureichen. Es sind nämlich meistens die Frauen, die zumindest in finanzieller (Teil-)Abhängigkeit leben oder sich auch anderweitig abhängig machen und aufopfern und die deswegen dauerhaft unglücklicher sind als die Männer, die weiterhin Anerkennung im Beruf erleben, sowohl auf sozialer als auch auf finanzieller Ebene.

Ehe ist, was man draus macht

Sollte man deshalb sicherheitshalber die gesamte Ehe verteufeln? Meinetwegen sicher nicht. Ich sehe die positiven Dinge einer Ehe: Sowohl den romantischen Aspekt des Die-große-Liebe-öffentlich-Machens als auch so praktische Sachen wie Entscheidungsrechte im Notfall. Die finanziellen Vorteile nutzen wir auf unsere Art, indem wir den Taschenrechner rausholen und dafür sorgen, dass jeder was davon hat (und nicht nur der besserverdienende Ehepartner). Letztlich kommt es eben wie so oft darauf an, was man draus macht.

Ganz bestimmt gibt es auch Ehen des konservativen Modells, die gut funktionieren, wenn beide Partner damit zufrieden sind. Und sicher haben auch wir mit unserem modernen Ehemodell keine Garantie, dass unsere Ehe und unsere Liebe hält bis wir alt, grau, faltig und rückenbehaart sind. Aber unsere Chancen stehen zumindest nicht schlecht, wenn wir auch weiterhin auf Gleichberechtigung und Individualität achten. Und sollte unsere Ehe doch nicht halten, stehen wir mit unserer Ausbildung, unseren Berufen und getrennten Finanzen allemal besser da als andere Geschiedene, die sich nach jahrelangem Alleinverdiener-Modell erstmal mühevoll finanziell auseinanderklamüsern und beruflich neuorientieren müssen.

In unserer Ehe bleibt die Romantik deshalb da, wo sie hingehört. Nämlich zum Beispiel in Rap-Zeilen, die der Mann für mich schreibt und die er mir am ersten Hochzeitstag auf dem heimischen Sofa vorträgt (und zwar gekonnt). Und weil ich wirklich nicht gut rappen kann, gibt es hier noch ein bisschen Romantik schwarz auf weiß: Mein Mann ist der eine Mann, mit dem ich ein ganzes Leben verbringen will (und danach gerne noch eins, falls es das gibt). Du bist der, der mich versteht und ich bin die, die dich versteht. Wir sind gut zusammen, so einfach ist das. Und wenn es altmodisch ist, dich deswegen geheiratet zu haben, dann bin ich gerne altmodisch. Reaktionär ist die Ehe, die wir leben jedenfalls keinesfalls. Gut organisiert schon eher. Aber nebenbei eben auch noch sehr, sehr romantisch.

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