Hauptsache, Mutter und Kind sind wohlauf!

Letzten Freitag, passenderweise an einem Freitag den 13., erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Artikel zum Thema Geburtshilfe. Tenor des Textes: Deutschland brauche nicht mehr, sondern weniger Kreißsäle, denn nur in Kliniken mit professionellster medizinischer Ausstattung sei die Sicherheit von Mutter und Kind gewährleistet. Im selben Atemzug spricht die Autorin (Ja: Die AUTORIN!) des Textes Frauen das Recht auf ein „schönes Geburtserlebnis“ ab. Denn das sei ja schließlich nicht das Wichigste!

Wörtlich heißt es im Artikel:

Es ist nicht das Wichtigste, ob man in einem Krankenhaus ein schönes Geburtserlebnis hatte. Es ist zunächst einmal auch nicht am wichtigsten, ob man für die Geburt eine weite Anreise hatte. Wichtig ist, dass Mutter und Kind nach der Geburt wohlauf sind.

Wohlauf! Wohlauf! In mir zieht sich alles zusammen, wenn ich diesen Begriff im Zusammenhang mit Geburtshilfe nur höre. Eigentlich möchte ich laut schreien: „Hört auf! Verschont mich mit eurem scheinheiligen Wischiwaschi!“. Oder könnt ihr mir vielleicht wenigstens mal erklären, was denn „wohlauf“ eigentlich so ganz genau bedeuten soll?

Was bedeutet denn „wohlauf“?

  • Sind Frauen mit einem Dammschnitt von hier bis Antananarivo „wohlauf“?
  • Sind Babys, die durch Einleitungen, Wehentropf und sonstige Geburtsbeschleunigungen unter der Geburt in massiven Stress versetzt wurden, nach der Geburt „wohlauf“?
  • Sind Frauen, die einen ungewollten Kaiserschnitt bekommen, weil im vorigen Geburtsverlauf jede Menge schief lief, „wohlauf“?
  • Sind Babys, die ohne adäquate Geburtshilfe in Autos, Rettungswagen, Helikoptern oder auf Parkplätzen geboren wurden, „wohlauf“?
  • Sind Frauen, die durch massiven Stress unter der Geburt traumatisiert wurden, „wohlauf“?
  • Sind Babys, die mit den Langzeitfolgen von Kaiserschnitten zu kämpfen haben (Anpassungsschwierigkeiten, Asthma und sonstige chronische Erkrankungen,) „wohlauf“?
  • Sind Frauen, die unter vielfältigen physischen und psychischen Narben leiden, nach einer Geburt „wohlauf“?

Hauptsache, keiner tot?

Ich habe da nämlich mal wieder einen bösen Verdacht: „Wohlauf“ bedeutet in Zusammenhang mit Geburten nämlich anscheinend einfach bloß, dass keiner stirbt. Und naja, immerhin, möchte ich sagen. Immerhin sollen Frauen in Deutschland eine Geburtshilfe erfahren, die sowohl sie selbst als auch ihr Kind lebendig wieder entlässt. Und das ist ja zumindest schon mal besser als tot. Aber kann das wirklich das einzige Ziel sein?

Was mich mal wieder besonders anwidert, ist der Fakt, dass es auch immer wieder Frauen sind, die in eine Kerbe schlagen mit „Stellt euch mal nicht so an!“, „Hauptsache, keiner stirbt!“ und „Geburt passiert ja nur selten im Leben!“. Denn auch der obig erwähnte SZ-Artikel wurde von einer Frau geschrieben. Und ich frage mich dann immer: Was genau treibt Frauen dazu, so massiv frauenfeindlich zu argumentieren?

Jede Frau, die bereits eine Geburt erlebt hat, weiß um diese wahnsinnig sensible Zeitspanne – eine Geburt ist das vielleicht verletzlichste, einprägsamste, kraftraubendste (und im Idealfall kräftigendste) Erlebnis im Leben einer Frau. Und man (oder eben frau) sollte doch meinen, das solch ein sensibler Moment auch respektvoll behandelt werden sollte. Und als respektvoll interpretiere ich etwas anderes als „Hauptsache keiner stirbt!“

Es fehlt an Respekt!

Es ist mir wirklich ein Rätsel, woher diese Einstellung kommt und warum gerade auch Frauen immer wieder solche Hau-drauf-Argumentationen bemühen. Fehlt es uns Weibern einfach an Respekt für uns selbst? Nehmen wir unsere Körper als besonders wenig wertvoll wahr? Sind wir vielleicht schon so erzogen worden, uns selbst einfach nicht so wichtig zu nehmen?

Denn eigentlich kann frau sich ja ohnehin schon mal daran gewöhnen, dass sie ab der Geburt ihres Kindes eine immer weniger wichtige Rolle spielen wird. Mütterliche Aufopferung wird in der deutschen Gesellschaft als Tugend ja nach wie vor noch reichlich hoch gehängt.

Ein feministisches Thema

Wie ihr merkt, ist das Thema Geburtshilfe für mich ein tief verankertes feministisches Thema. Immer wieder wird ja auch die Frage gestellt, wie es wohl wäre, wenn Männer die Kinder kriegen würden. Und auch wenn sie auf den ersten Blick plump erscheint, finde ich den Ansatz gar nicht falsch. Denn ich sehe in unserer Gesellschaft ganz klar die Tendenz, Frauen zumindest jene Leiden, die in Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt stehen, abzusprechen.

Am Ende soll das Weib gefälligst glücklich sein, wenn es ihr putzmunteres Balg im Arm hält. Schmerzen, Narben, Traumata? Ach komm schon, Schätzchen, stell dich nicht so an! Heile, heile Gänschen. Auch für dich wird die Sonne wieder scheinen! Ja, denke ich, aber wann?

Eine große Zahl Frauen ist nach der Geburt nicht „wohlauf“

Die Wahrheit ist nämlich diese: Eine erschreckend große Anzahl an Frauen ist nach einer Geburt nicht „wohlauf“. Von dem konkreten Ausmaß kann man sich nicht nur ein Bild machen, wenn man mal so mutig ist und die Frauen in seinem direkten Umfeld befragt. Auch die „Roses Revolution“ liefert jedes Jahr am 25. November ein verstörendes Bild. An diesem Tag legen Frauen deutschlandweit Rosen vor den Kreißsaaltüren ab, hinter denen ihnen Gewalt widerfahren ist.

Und auf die Gefahr hin, die Autorin des SZ-Artikels nun zu enttäuschen: Auch zehnmal besser ausgestattete und medizinisch hochprofessionell arbeitende Perinatalzentren werden dieses Problem nicht lösen. Geburtshilfe ist nämlich kein so einfacher Fall wie es herzchirurgische Abteilungen oder Nierenzentren sind. Geburten sind archaisch. Sie passieren manchmal langsam und manchmal extrem schnell. Sie werden durch komplexe hormonelle Zusammenspiele im weiblichen und kindlichen Körper gesteuert. Und sie sind vor allem eins: Nicht planbar!

Verknappung des Angebots wird in der Geburtshilfe zum Problem werden

Weniger und spezialisierte Kliniken machen in anderen Bereichen also vielleicht durchaus Sinn (sage ich jetzt einfach mal, ich bin ja nicht vom Fach). Im Bereich der Geburtshilfe würde eine solche Verknappung des Angebots für viele Frauen jedoch die absolute Katastrophe bedeuten.

Die ganze Argumentation der Autorin ist dann auch eine Milchmädchenrechnung: Der Anzahl an in angeblich maximal sicheren Perinatalzentren „wohlauf“ betreuten Frauen würde eine wachsende Anzahl von Frauen entgegenstehen, die überhaupt nicht mehr betreut würden. Frauen, die es schlicht nicht mehr bis ins nächste große Geburtenzentrum schaffen, weil die Geburt beim zweiten oder dritten Kind einfach viel zu schnell geht. Frauen, die sich überforderten Rettungssanitätern gegenübersehen, die (anders als eine Hebamme) auch nicht wissen, was zu tun ist, wenn das Baby feststeckt. Frauen, die in Autos, Rettungswagen oder Helikoptern Angst und Qualen leiden, weil die ersehnte Geburtshilfe immer noch viele Kilometer entfernt ist.

In der Geburtshilfe braucht es immer einen Plan B

Ich sage daher: Spezialisierung von Kliniken – von mir aus! Es muss aber in der Geburtshilfe immer auch einen Plan B geben. Das könnten zum Beispiel Geburtshäuser sein, die die wohnortnahe Versorgung sicherstellen. Auch hier arbeitet Fachpersonal, auch hier kann sehr gut eingeschätzt werden, wann eine Geburt vielleicht doch zu gefährlich wird und speziellerer medizinischer Hilfe bedarf.

Denn was bei Diskussionen um Geburtsorte immer wieder unter den Tisch gekehrt wird, ist ja folgender Fakt: Die überwiegende Anzahl von Geburten könnte theoretisch ganz ohne fremde Einwirkung passieren. Zeit, Geduld und Zuwendung spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle dafür, dass Mutter und Kind am Ende „wohlauf“ sind.

Frauen müssen Entscheidungsfreiheit haben!

Und was ich in diesem Zusammenhang gerade aus feministischer Perspektive extrem wichtig finde: Frauen sollten sehr wohl selbst entscheiden dürfen, welches Risiko sie für die Geburt ihres eigenen Kindes eingehen wollen! Sicher kann auch während einer Geburtshausgeburt etwas unvorhergesehenes passieren – und wenn die nächste Klinik dann 100 km entfernt ist, ist das nicht gut.

Wenn eine Frau dieses nach Zahlen extrem geringe Risiko aber tragen will, dann soll sie es dürfen! Und die Zahlen zeigen auch: Viele Frauen wünschen sich genau diese Entscheidungsfreiheit. Denn die Nachfrage nach Geburtshausgeburten übersteigt das Angebot bei weitem.

Die gesamte Geburtshilfe bedarf eines Relaunchs!

Unterm Strich finde ich, sollten wir nicht im ersten Schritt über Sinn oder Unsinn von großen oder kleinen geburtshilflichen Abteilungen diskutieren, sondern zunächst die komplette Geburtshilfe in Frage stellen: Wird da überhaupt evidenzbasiert gearbeitet? Müssen diese vielen Interventionen wirklich sein? Ist die Kaiserschnittrate nicht viel zu hoch? Und inwiefern hängt das mit dem schlechten Personalschlüssel zusammen?

Heißt: Wir sollten uns die Frage stellen, unter welchen Bedingungen Mutter und Kind nach einer Geburt WIRKLICH „wohlauf“ sind. Und damit eben mehr meinen als „nicht tot“. Wir sollten so mutig sein, es wichtig zu finden, dass Frauen auch unter der Geburt respektvoll und einfühlsam behandelt werden – und meines Erachtens gehört da durchaus dazu, unter Wehen keine weiten Strecken zum nächsten Kreißsaal zurücklegen zu müssen.

Wanted: Respekt und Empfindsamkeit

Respekt und Empfindsamkeit – hier hapert es immer noch gewaltig, wenn es um Frauen vor, während und nach einer Geburt geht. Und solche oben genannten Artikel, die auch noch von Frauen geschrieben werden, tragen hier nicht gerade zu einer Verbesserung bei. Der Wandel geschieht immer zuerst im Kopf. Erst wenn Frauen mehr respektiert, ihre Geburtsfähigkeit mehr geschätzt wird und eine Vielzahl an Menschen es sich zum inneren Ziel macht, dieses Erlebnis so gut wie nur möglich zu schützen und zu gestalten, wird sich auch außen massiv etwas ändern können.

„Hauptsache wohlauf“ unterschreibe ich übrigens sofort. Aber nur, wenn diese Floskel mehr bedeutet als „Hauptsache keiner stirbt“.

P.S.

Die Autorin des SZ-Textes vergleicht die geburtshilfliche Situation in Deutschland übrigens mit der in Schweden und Finnland. In letztgenannten Ländern gibt es im Verhältnis zur Fläche extrem wenige Kreißsäle, dafür aber ein erstaunlich gutes Outcome. Warum die Bedingungen jedoch trotzdem nicht 1:1 auf Deutschland übertragen werden können, erklärt der Chefarzt des Zentrums für Geburts- und Neugeborenenmedizin in Wolfsburg sehr verständlich in diesem Interview (und man wünschte sich, die SZ-Journalistin hätte vor Verfassen ihres Artikels mal in mehrere Richtungen recherchiert und z.B. mit diesem Experten gesprochen).

26 Kommentare zu „Hauptsache, Mutter und Kind sind wohlauf!

    • Danke für den Hinweis! 🙂 Ich habe mir den zweiten Text schon gespeichert um ihn heute Abend zu lesen. Leider erscheint er im Gegensatz zu dem Text von Frau von Hardenberg „nur“ im Familienmagazin, was natürlich die Reichweite betreffend etwas schade ist.

      Insgesamt schätze ich übrigens sehr, dass die Süddeutsche Zeitung sich regelmäßig mit dem Thema Geburtshilfe beschäftigt. Bis vor kurzem schien das ja noch niemanden zu interessieren und es ist so wichtig, dass die Probleme in die Öffentlichkeit kommen! Danke an dieser Stelle also für Ihre Arbeit!

      • Online sind beide Texte erschienen – und wir haben auch darauf geachtet, sie genau gleich prominent zu platzieren.

  1. Liebe Sophie,

    auch für mich ein absoluter Aufregen dieser Artikel. Er trifft genau meinen wunden Punkt. „Wohl auf“ ist nur eine Variante von „sei doch froh“ – und das musste ich mir nach meiner ersten Geburt zu oft anhören. Es tut heute noch weh. Eine Art Minimalkonsens mit der sich Frau zu frieden geben soll. Es geht um eine mindere Wertschätzung von Frauen in der Gesellschaft und leider oftmals auch innerhalb der eigenen Familie. Ich stimme mit dir vollends überein, dass Geburtshilfe ein feministisches Kernthema sein sollte. Darin zeigt sich so viel, was schief läuft…
    Ein ganz großes Herz <3 für deinen Text!

    Liebe Grüße
    Mother Birth

  2. Anke

    Völlig richtig! Ein gelungener Artikel. Wäre bei uns der nächste Kreißsaal nicht bloß zehn Minuten entfernt, hätte ich mein zweites Kind vermutlich im Auto bekommen. Von der ersten Wehe bis zur Geburt vergingen bloß zweieinhalb Stunden und wir konnten erst nach einer guten Stunde aufbrechen, da erst dann die Betreuung unseres ersten Kindes gewährleistet war und die Windschutzscheibe endlich nicht mehr zufror…
    Ich hatte noch das Glück, die Wahl zu haben (außer dass ich mir „erst“ nach einigen Wochen eine Hebamme fürs Wochenbett gesucht habe, was dazu führte, dass ich eine nehmen musste, die noch Zeit hatte und mit der ich im Endeffekt sehr unzufrieden war) und ich wünsche mir das für alle Frauen!

    • Bei mir war es ja sogar bei der ersten Geburt so krass, weshalb es dann eine ungeplante Hausgeburt war (meine Hebamme wäre eigentlich mit mir in die Klinik gefahren). Mit den heftigen Presswehen wollte ich nicht mal mehr 10 Minuten Auto fahren! Wenn ich mir vorstelle, der nächste Kreißsaal wäre eine halbe Stunde oder länger entfernt gewesen – du meine Güte! Ich finde es deswegen auch so wenig weit gedacht, wenn immer gesagt wird: Große und dafür wenige Kliniken sind halt sicherer, da besser ausgestattet. Weil den ganzen angeblich top versorgten Frauen und Babys steht ja dann immer eine wachsende Zahl derer entgegen, die es völlig unbetreut gar nicht erst bis in den Luxus-Kreißsaal schaffen. Und ist das etwa nicht auch gefährlich?

  3. Claudia

    Toller Beitrag, trauriges und doch so wichtiges Thema. Wollte nur den Hinweis geben, dass der Interview-Link leider nicht funktioniert – ist das nur bei mir so?!

  4. mixmax

    Das mit dem „Stellt euch nicht so an und seid froh, dass alle da lebend rauskommen“ ist eine ähnliche Kerbe, in die beim Thema Sexuelle Belästigung und Diskriminierung diejenigen schlagen, die sagen „Stellt euch nicht so an, ein Klaps auf den Hintern oder ein Kommentar mit sexuellem Unterton tut euch doch nicht weh.“ Immer wird das Recht der Frau auf Unversehrtheit (körperlich wie seelisch) und das Recht des Menschen auf die Wahrung seiner Würde angetastet, finde ich. Dass das hier in dem genannten Artikel auch noch von einer Frau kommt, schlägt dem Fass den Boden aus. Wir sollen mehr Kinder machen (damit Rentensystem, Gesellschaft, Fachkräftemangel gerettet/weitergeführt/abgewendet wird), aber es soll weniger Kreissäle geben – selbst für jemanden, der sich nicht tiefer mit dem Thema befasst, ist das doch offensichtlich, dass das unlogisch ist. Ich wohne im ländlichen Raum, da kommt noch dazu, dass man sowieso nicht aus 5 Krankenhäusern wählen kann, egal, ob die unterbesetzt sind oder nicht. Es ist zum Heulen, dass bei diesem Thema so wenig die Frauen gefragt werden, die es betrifft, sondern dass vor allem auch in der Politik oft Männer Entscheidungen treffen. Das Einzige, was generell bei solchen Themen helfen würde: Mehr Frauen in die Politik, an Positionen, die bei den Entscheidungen mitreden können!

    • Ich engagiere mich ja bei Mother Hood e.V., damit wir Frauen (bzw. Eltern) endlich besser gehört werden. Es ist nämlich auch absurd, dass zum Beispiel runde Tische mit Politikern, Klinikleitungen und Hebammen stattfinden – aber keiner die Eltern dazu lädt. Viele Vereinsmitglieder haben in der Hinsicht in der Vergangenheit schon richtig viel erreicht, haben sich eingemischt, den Fuß in die Tür gekriegt und sprechen nun an vielen Stellen mit. Das ist eine super wichtige Arbeit, die richtig konkreten Nutzen hat! Ich kann das sehr empfehlen!

  5. Lili

    Hm. Alle Fragen, die unter „Was bedeutet denn wohlauf?“ geschrieben stehen, würde ich persönlich einfach nur mit mit einem „JA“ aus ganzem Herzen beantworten. Denn ich habe zwei mal ein Kind beerdigen müssen, weil beide viel zu früh zur Welt kamen und die Geburt nicht überlebten. Ja, die Hebamme hatte Schichtwechsel während der Geburt meines lebenden Kindes. Ja, es war recht voll an dem Tag (Gewitter halt). Nein, ich wollte nicht in die Badewanne und auch nicht ins Tuch oder in den Vierfüßlerstand oder Massagen oder Räucherstäbchen oder sonstwas – ich wollte ein lebendes Kind und selbst überleben. Dafür bin ich allen beteiligten Ärzten und Hebammen bis heute unendlich dankbar. Auch, wenn danach ne Stunde genäht wurde. Auch, wenn ich mich an vieles nicht erinnern kann weil es irgendwie zu schnell ging. Auch, wenn ich monatelang Schmerzen durch die Geburtsverletzungen hatte. Ich bin dankbar und froh, dass wir „wohlauf“ sind. Und alles andere sind für mich Luxusprobleme…
    P.S. gerade habe ich im Radio in den Nachrichten gehört, dass weltweil 15.000 Kinder täglich (!) noch vor dem 5. Lebensjahr sterben, die meisten im Säuglingsalter bzw. als Neugeborene. Und es ist noch gar nicht so lange her, dass die Säuglings- und Müttersterblichkeit auch hier in Deutschland immens hoch war. Also ja – mir persönlich reicht „wohlauf“ voll und ganz.

  6. Lili

    Noch ein Nachtrag – das soll natürlich nicht heißen, dass ich die Reduzierung von Geburtskliniken, die geringe Wertschätzung und die schlechten Bedingungen für den Hebammenberuf und die Missstände in der Geburtshilfe allgemein für gut halte, ganz im Gegenteil. Auch sollte natürlich mit jeder Frau und immer respektvoll umgegangen werden, nicht nur während der Geburt und im Wochenbett. Und „stell dich nicht so an“ ist nie und nirgends ein guter Ratgeber, nicht für Frauen, nicht für Kinder, nicht für Männer.
    Aber die ganze Glorifizierung und Mystifizierung die sich momentan um das Thema Geburt aufbaut, finde ich schon sehr befremdlich. Denn im Prinzip ist es einfach nur ein natürlicher Vorgang. Manchen Frauen fallen Geburten wahnsinnig leicht, andere müssen sehr hart kämpfen. Das gilt für viele andere Lebensbereiche aber auch. Uns „Weibern“ fehlt es glaube ich weder an „Respekt für uns selbst“, noch „nehmen wir unsere Körper als besonders wenig wertvoll wahr“. Ich habe es sogar als ziemlich befremdlich empfunden, während der Schwangerschaft ständig einen Platz angeboten zu bekommen oder sonst wie umsorgt zu werden. Nach dem Verlust meiner Kinder – da hätte ich wirklich Respekt und Fürsorge gebraucht. Da bekommt man sie aber nicht (oder zumindest nicht in der Öffentlichkeit und im Beruf), weil man es eben nicht sieht. Der dicke Bauch hingegen scheint ja direkt überall Alarmglocken angehen zu lassen. Das finde ich befremdlich, weil es ja potenzielle 50% der Bevölkerung betrifft. Es ist ein biologischer Zustand, darauf musste ich weder besonders stolz sein noch habe ich es von meinem Umfeld erwartet. Und ich fühle mich auch nicht so, dass ich nach der Geburt meines Kindes eine „immer weniger wichtige Rolle spiele“ – sehr seltsame Assotiation, meist ist es doch umgekehrt, als Mutter ist man plötzlich im unfreiwilligen Mittelpunkt und das ganze Umfeld kümmert sich, hilft, fragt, klopft auf die Schultern, macht Platz, trägt Einkäufe und himmelt selig grinsend den Nachwuchs an. Oder sind meine Erfahrungen da so gravierend anders?

    • Liebe Lili,

      erst mal möchte ich sagen, dass es mir sehr leid für dich tut, dass du zwei Kinder verloren hast. Diesen Schmerz kann ich mir gar nicht vorstellen und ich selbst empfinde durchaus Demut darüber, zwei gesunde Kinder geboren zu haben.

      Natürlich kann ich verstehen, dass dir aus deiner Sicht zuallererst wichtig war, überhaupt ein gesundes Kind zu gebären. Das wird ja auch fast allen anderen Frauen so gehen. Was mich aber immer ärgert, ist: Warum muss es denn „entweder/oder“ sein? Ich habe durchaus den Eindruck, dass in der Geburtshilfe hierzulande viel mehr getan werden könnte, um eben nicht nur lebendige und gesunde Babys auf die Welt zu holen, sondern auch für eine physische und psychische Unversehrtheit der Frauen zu sorgen. Und ja, ich habe auch den Eindruck, dass Frauen manchmal sich selbst sehr weit hintenanstellen, auch vor, während und nach einer Geburt. Nur weil etwas „natürlich“ oder „biologisch“ ist, heißt das ja noch lange nicht, dass es deswegen keiner Unterstützung bedarf!

      Vergleiche mit anderen Ländern finde ich übrigens immer sehr schwierig. Denn das sollte doch in diesem reichen Land wirklich nicht unser Maßstab sein! Ansonsten könntest du ja z.B. auch sagen: Ein gutes Schulsystem ist purer Luxus! In Afrika gehen die Mädchen nur bis zur 4. Klasse in die Schule. Da sollen unsere Töchter mal froh sein, wie gut sie es haben! Merkst du, wie das hinkt?

      Deine Erfahrungen als Mutter klingen schön. Leider glaube ich in der Tat, dass es den wenigsten anderen Frauen so geht. Ich kenne eher das Gegenteil: Dass Frauen das Gefühl haben, sich aufopfern zu müssen, immer mehr leisten zu müssen und dafür überhaupt keine Wertschätzung erfahren.

      • Lili

        Liebe Sophie,
        Danke für Deine schnelle Reaktion! Und ja – der Ländervergleich hinkt, da gebe ich Dir recht. Auch sollten wir immer nach Verbesserung streben – natürlich auch in der Geburtshilfe, und vor allem da – und nicht mit schlechteren Zuständen vergleichen. Und es sollte auch kein entweder/oder sein, also „hauptsache lebendig“ vs. „Traumgeburt“. Das kann man ohnehin nicht planen, wie Du schon schreibst. Aber wie so vieles im Gesundheitswesen spielt ja auch da Geld eine Rolle, wo es das eigentlich nicht sollte. Und bevor es in vielen kleinen Kliniken mehr schlecht als recht läuft, kann ich eben auch die Argumente der SZ-Autorin verstehen, die ja z.B. die geschlossene Geburtshilfe auf Sylt als Beispiel nimmt. Erzählungen von ruppigen Hebammen, hektischen Ärzten und pampigen Kinderschwestern höre ich meist da, wo sich wenig Personal abmüht, Überarbeitung und Überstunden an der Tagesordnung sind und unflexible Dienstpläne das Privatleben ruinieren. Je größer eine Klinik, umso einfacher und professioneller kann das aber gehandhabt werden. Und bevor sich in jeder Kleinstadt ein Krankenhaus finanzieren lässt, in dem dann doch keine Zeit für Fürsorge und Respekt bleiben, wären für die „physische und psychische Unversehrtheit der Frauen“ besser ausgebildete niedergelassene Frauenärzte und mehr (viel mehr!) Vor- und Nachsorgehebammen ein Segen. Die vielleicht auch eher mal eine Hausgeburt betreuen, wenn es unkompliziert läuft. Und wenn nicht, dann doch lieber per Helikopter in die Spezialklinik als ins nahegelegene Feld- Wald- und Wiesenkrankenhaus. Aber ich glaube, dass wir da auch gar nicht so weit auseinanderliegen. Und die Frage nach dem Begriff „wohlauf“ ist glaube ich auch eine der Perspektive. „Stell Dich nicht so an, schließlich sind Mutter und Kind wohlauf“ will sicher niemand hören. Aber ein von Herzen kommendes „ich freue mich, dass ihr wohlauf seid“ ist sicherlich vor dem Hintergrund zu sehen, dass es eben keine Garantie gibt, am Ende auch ein Happy End zu haben, und die fragende/gratulierende Person das wirklich lieb meint. Im Zweifelsfall trotz „Dammschnitt bis Antananarivo“. Darin sehe ich keine Respektlosigkeit und auch keine Herabwürdigung der Frau bzw. der körperlichen und psychischen Leistung einer Geburt. Aber ja – vielleicht sind meine diesbezüglichen Erfahrungen auch positiver als andere.
        Und zum Schluss noch Danke für den tollen Blog! Bis auf die unterschiedliche Perspektive zum „wohlauf“ sitze ich nämlich meist bestätigend und begeistert nickend vor Deinen Beiträgen 🙂

        • Oh ja, in vielen Dingen sind wir beide da genau einer Meinung! Ich schreibe ja auch im Artikel, dass ich eben finde, dass es immer genug „Plan B“-Lösungen geben muss. Dazu gehören dann m.E. z.B. Geburtshäuser und Hausgeburtshebammen, die all jene Frauen auffangen, die nicht in die großen Kliniken wollen oder können (zweite/dritte Geburt und das Kind kommt blitzschnell etc.). Es kann halt echt nicht sein, dass wir hier auf Situationen zusteuern, in denen immer mehr Babys in Rettungswagen, Autos oder Helikoptern geboren werden. Da ist die Sicherheit nämlich auch schnell völlig futsch!

          Im Vergleich mit Skandinavien sieht man nämlich übrigens auch, dass dort die Hebammenbetreuung einen noch größeren Stellenwert hat, als bei uns. Vorsorge wird da z.B. vor allem von Hebammen gemacht. Vielleicht ist auch das ein Grund für das ingesamt bessere Outcome?

          Was mir sonst noch wichtig ist, ist zu erwähnen, dass es eben auch ein Trugschluss ist, dass nur und ausschließlich große Kliniken das bestmögliche Outcome haben. Es gibt nämlich sehr wohl viele kleine Kliniken, die mit gutem Personalschlüssel und professionellem Notfallmanagement für sehr gute Ergebnisse sorgen – und den Frauen zusätzlich die Pro-Punkte Wohnortnähe und „gemütliches“ Umfeld bieten. Bevor man nun also sagt: Alle kleinen Kliniken weg, nur noch die großen (und angeblich besseren) fördern, könnte man auch sagen: Wir schauen uns auch bei den kleinen mal die Best Practices an und lernen davon.

          Insgesamt ist das Problem, wie so oft im Gesundheitswesen, eben auch mal wieder ein finanzielles. Geburtshilfe ist unrentabel. Und die großen Kliniken haben sehr viel mehr Möglichkeiten, ihre Kreißsäle mit anderen Bereichen querzufinanzieren. Da ist eben einfach mehr Geld da. Es wäre daher ja auch eine sinnvolle Idee, die kleinen Kliniken finanziell zu unterstützen. Darin sehe ich sowieso eigentlich auch die Pflicht des deutschen Staates. Aber der hat ja anscheinend beschlossen, die Krankenhäuser ihrem eigenen Schicksal zu überlassen. Kapitalismus at its best… äh worst.

          • Und danke noch für das schöne Lob! 🙂 Ich merke in diesen Tagen mal wieder, wie sehr mich diese Bloggerei und der Austausch mit euch allen bereichert. Mich haben so viele nette Worte erreicht, dass ich gerade sehr sehr glücklich über die Möglichkeiten des Bloggens bin, und darüber aus einer Laune heraus vor drei Jahren damit angefangen zu haben. 🙂

  7. D aus F

    Ich bin auch eine „Wohlauf“-Mama. Die Geburt ist fast zwei Jahre her, und ich kann nicht mal einen blöden Film sehen in dem eine Geburt vorkommt, ohne bitterlich schluchzen zu müssen-ob ich will oder nicht.
    Ich werde deshalb kein weiteres Kind bekommen. Unmöglich ist mir die Vorstellung, obwohl mein Kind ein so winderbares großes Geschwisterchen sein würde.
    Ach, ich könnt grad wieder heulen.

    • Oh nein, das tut mir sehr leid. Hast du mal überlegt, das Erlebte professionell aufzuarbeiten? Ich kenne mich da leider nicht so aus, aber es wird sicherlich verschiedene Anlaufstellen geben. Das muss ja nicht direkt eine Psychologin sein, vielleicht hilft auch so etwas wie ein Coach, eine systemische Beraterin oder vielleicht eine Doula, die auch in Richtung Psychologie/Beratung weitergebildet ist. Bei Facebook gibt es so viele tolle Gruppen, vielleicht kannst du da irgendwo nach Rat fragen? Oder bei gemeinnützigen Vereinen. Es wäre ja schade, wenn dieses blöde Erlebnis der einzige Grund wäre, dass du kein zweites Kind bekommst. Und denk auch daran, dass du dich für eine zweite Geburt ganz anders vorbereiten könntest. Mit der richtigen Vorbereitung und Unterstützung kann es sicher auch ein heilsames Erlebnis werden! Alles Liebe!

      • Katrin

        Erstmal auch von mir ganz viel Zustimmung für diesen Artikel, Sophie! Ich habe mich letztes Wochenende sp über den Artikel in der SZ geärgert und konnte es echt nicht glauben. Vielen Dank für Deine treffenden Worte!
        Und zu D aus F wollte ich noch das von Sophie Gesagte zu einer weiteren Geburt aus eigener Erfahrung bestätigen.

        • Janet

          Auch von mir ganz viel Zustimmung für diesen Artikel, Sophie! Und vielen Dank für Deine treffenden Worte!!

  8. Ist ein interessanter Artikel! Für mich bedeutet ,,Wohlauf,,, dass es gut gelaufen ist, oder dass es auch schlimmer sein konnt. Meinchmal ist es nicht leicht solche Wörter zu hören, aber ich denke, dass man auch das lieber hört als etwas echt schlechtes.

  9. Luise

    Dass eine gute Geburtshilfe vor allem in ländlichen Bereichen immer knapper wird, hatte ich schon einmal gelesen. Es ist interessant, hier die Hintergründe zu lesen. Die Variante mit den Geburtshäusern finde ich eine gute Lösung und hoffe, dass sich hier etwas tut!

  10. Pingback: Moment in Watte. – Madame Konfettiherz

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