Glamorous Life

Es ist Samstag, halb acht Uhr morgens. Ich sitze im Schneidersitz auf dem Kinderbett und versuche, das Hübchen in eine dicke Frottee-Strumpfhose zu pellen. Der Mann steht neben mir am Wickeltisch und zieht dem Räupchen einen Body über den Kopf. „Ich will heute Bettwäsche waschen“, sage ich zum Mann. „Hm“, antwortet der. Kurzes Schweigen. Dann gucken wir uns an. Moment mal, ist diese Unterhaltung real? Du liebe Güte, wie konnte es nur so weit kommen!

Ihr kennt solche Situationen auch? Nun, das wundert mich gar nicht. Alle Eltern kennen diese Situationen. Die Zeiten, in denen wir uns an einem Samstag um halb acht Uhr morgens darüber in Kenntnis setzten, dass wir jetzt wirklich zu besoffen zum Einschlafen sind, sind gefühlt ein halbes Jahrhundert vorbei. Und was viel schlimmer ist: Es fühlt sich zusätzlich so an, als würden diese Zeiten nie wieder kommen.

Anstatt mir morgens die Haare zu waschen, friemel ich sie zu einem halbwegs ansehnlichen Dutt zusammen. Statt Wimperntusche gibt es im allerbesten Fall (wenn ich doch mal vor die Tür muss) einen Klecks Farbe auf die Lippen. Und in letzter Zeit habe ich einen Alptraum, der einfach immer wieder kommt: Im Traum wache ich morgens auf und habe eine Jack-Wolfskin-Jacke an. Und damit nicht genug: Ich drehe mich zur Seite und auch der Mann trägt eine. Im Partnerlook!!

Gut, so weit ist es im realen Leben dann zum Glück noch nicht gekommen und ich schwöre feierlich: Nichts und niemand wird mich jemals in eine Jack-Wolfskin-Funktionsjacke bekommen. Wobei, diese praktischen Fleece-Jacken der Konkurrenz, die ohne diesen penetranten Tatzen-Aufnäher, die sind doch echt ganz ordentlich, oder etwa nicht…?

Eine Aneinanderreihung praktischer Überlegungen

Ja, ich gebe es zu: Seit ich Mutter bin, allerspätestens seit ich zum zweiten Mal Mutter geworden bin, besteht mein Leben vor allem aus einer Aneinanderreihung praktischer Dinge und Handlungen. Und das kann dann leider auch bedeuten, sich morgens um halb acht (an einem Samstag!) Gedanken darüber zu machen, dass heute mal wieder die Bettwäsche an der Reihe wäre. Ich selbst bin meistens erst sehr viel später an der Reihe, erst recht wenn es sich um Dinge handelt, die eigentlich nicht so zwingend nötig sind.

Haare waschen schaffe ich noch halbwegs regelmäßig, keine Sorge. Aber für so was wie Nägel lackieren oder auch nur die Wimpern tuschen, dafür nehme ich mir schon lange keine Zeit mehr. Zumindest nicht regelmäßig. Meine Erfahrung ist nämlich: Das Leben als Elternteil besteht zu einem Großteil daraus, Prioritäten zu setzen. Lieber fluffiges Haar als wacher Blick. Besser gewaschene Bettwäsche als blitzeblank aufgeräumte Küche. Und eher mal die Kinder waschen als mich selbst.

OK, das letzte war gelogen. Die Kinder werden hier ehrlich gesagt nur etwa einmal wöchentlich gebadet. Im Winter ist das ja auch echt kein Problem, da schwitzen die nicht so. Wie das dann im Sommer wird? Keine Ahnung, aber irgendwie haben wir das in den letzten Jahren ja auch geschafft. Das mit dem Prioritäten verschieben geht uns mit der Zeit nämlich ganz gut in Fleisch und Blut über. Da überlegen wir gar nicht mehr groß. Zack, sind die Kinder gebadet und das Kinderzimmer sieht immer noch aus wie ein großer Müllhaufen.

Prioritäten lassen sich bestimmt auch zurückverschieben

Und auch wenn es sich im Moment manchmal so anfühlt, als würde ich für den Rest meines Lebens um praktische Überlegungen kreisen, ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass sich unsere Prioritäten irgendwann, ganz irgendwann auch wieder wie von Zauberhand in andere Bereiche verschieben. Und dass ich dann nicht mehr überlege: Erst die Wäsche oder erst das Klo? Sondern vielleicht: Erst den Sekt oder erst den Wein? Oder zum Beispiel auch mal den Mann frage: Erst ins Bett oder erst ins Kino?

Weil wir ja schließlich alle wissen: Sie werden so schnell groß! Und dann können wir den ganzen anderen Prioritäten-Kram auch prima ausgliedern. Weil so ein paar Kinder, die können ja auch praktisch sein, zum Beispiel um ein bisschen im Haushalt zu helfen. Und dazu müssen sie auch gar keine Jack-Wolfskin-Jacken tragen, echt nicht.

4 Kommentare zu „Glamorous Life

  1. liebelise

    Ich hab hier einen riesen Korb mit Nagellackfläschchen stehen. Sicherlich ziemlich eingestaubt und eingetrocknet, denn seit mindestens 18 Monaten hab ich den keines Blickes mehr gewürdigt. Und immer wenn was „privates“ ansteht denke ich kurz „Nagellack? Zu aufwendig!“ Den müsste ich ja nicht nur sauber auftragen und trocknen lassen ohne zwischendurch das Kind anfassen zu können. Nein ich müsste ihn ja nach angemessener Zeit auch entfernen um mich nicht den Spott der Öffentlichkeit preiszugeben. Ist unrealistisch. Stattdessen wird abgeschwächt, Nägel schneiden ist ja schon die halbe Miete.
    Ich hoffe sehr du hast Recht mit der Prioritäten-Zurück-Verschieberei, aber vielleicht ist man bis dahin auch so eingegrooved in der der Muddi-Rolle, dass man gar nicht mehr zurück will.

    • Oh ja, wie gut ich das kenne! Ganz aktuell habe ich mir für heute Abend vorgenommen, die Nägel zu lackieren. Wir sind nämlich morgen auf einem großen Fest eingeladen. Aber ich vermute sehr stark, dass heute Abend dann doch wieder was anderes wichtig ist. Aber du hast recht: Ordentlich geschnittene Nägel sind doch auch schon mal was! So ist das eben mit den Prioritäten! 😉

  2. Shayla

    Unsere Priorität ist es ein Motorrad zu haben, welches auf jeder Rennstrecke vorne mitfährt!

  3. Das kenne ich gut. Ich war vorher schon praktisch veranlagt, aber mit Kind ist es nochmal schärfer geworden. Mein letzter Friseurbesuch ist fast 2 Jahre her, ich trage sowieso nur Zopf. Bald will ich aus der Nit eine Tugend machen und plane, Haare für Perücken für Krebskranke Kinder zu spenden. Mal schauen, ob das wg. Mindestlänge klappt. 😀

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