Funktionsjacken-Mutti

Mütter in Funktionsjacken – als ich selbst noch keine Kinder hatte, spürte ich einen Hauch Verachtung in mir brodeln. Pah! So würde ich niemals werden! Nur weil frau Kinder hat, muss sie doch nicht gleich ihr gesamtes Äußeres vernachlässigen! Natürlich habe ich diesen Vorsatz bis heute total gut eingehalten. Äh, also fast. 

Heute habe ich tatsächlich manchmal Angst, eines Tages aus Versehen in einen Jack-Wolfskin-Shop zu gehen und mit einer Funktionsjacke wieder herauszukommen. Für den Liebsten hätte ich auch gleich das Partnermodell mitgenommen, selbstverständlich. Hauptsache, Tatze drauf. Ja, ich bin total überzeugt, dass diese Jacken wirklich total praktisch sind. Das Problem ist eben nur, dass sie in erster Linie vor allem auch ziemlich hässlich aussehen. Praktisch ist eben meistens leider nicht gleich schön (verstehe das, wer will. Was Designer an Gewinnen einfahren könnten, wenn sie einfach mal häufiger beide Kriterien in ihren Kleidungsstücken vereinen würden!).

Jedenfalls bin ich glücklich, behaupten zu können, dass ich bis zum heutigen Tage immer noch nicht schwach geworden bin, was meinen strengsten Vorsatz angeht. Der da nämlich lautet: Du bist Mutter – keine Funktionsmutter! Nur weil du jetzt in deiner Freizeit bevorzugt (naja, hier geht es ja leider nicht darum, was ich persönlich tatsächlich so bevorzuge) auf Spielplätzen rumtreibst, musst du dich deswegen ja nicht gleich von oben bis unten in hellgrünes Fleece hüllen.

Eine Business-Mami, die nach Feierabend in High-Heels und kleinem Schwarzen im Sandkasten abhängt, muss ich zum Glück auch nicht sein, Home Office sei dank. Aber auch in meinem kleinen Zuhause-Büro trage ich gerne, worin ich mich halbwegs gut angezogen fühle. Na gut, oft ist das dann eben Jeans und Pulli, aber es gibt auch geschmackvolle Pullis, OK? Und meine Jeans haben keine Löcher, nicht mal solche modischen!

Wieso sah ich damals so gut aus?!

Trotzdem habe ich mich letztens erschreckt, als mir beim Umzug das Fotoalbum auf die Füße fiel (leider auf, nicht vor), in dem wir Hübchens erstes Lebensjahr dokumentiert haben. Nach den Standardreihen von schrumpeligen Babygesichtern, schrumpeligen Babyhänden und schrumpeligen Babyfüßen, kommt da eine Fotoreihe von mir, blutjunger Mutter, wie ich wenige Tage nach der Geburt in Rock und tiptop sitzender Kurzstrickjacke am Wickeltisch stehe. Haare offen und augenscheinlich sogar gewaschen (!!). Ich beschaute mir die Bilder und ich schwöre, hätte ich in dem Moment einen Schluckauf gehabt, er wäre sofort weggewesen. Pures Erschrecken, angesichts so viel modischen Bewusstseins kurz nach der Niederkunft.

Es ist also glasklar, was hier passiert ist: Im Laufe der Jahre habe ich meine Ansprüche an mich selbst immer weiter heruntergeschraubt, beinahe ohne es selbst zu merken. Ein Mann, der in regelmäßigen Abständen Dinge sagt wie „Ich finde dich immer schön, Chéri!“, ist in diesem Fall wirklich überhaupt gar nicht hilfreich. Im Rückblick schäme ich mich also sehr dafür, wie völlig überzeugt ich früher von meinen modischen Grundsätzen gewesen sein muss: Nein, ein Kind wird deinen guten Geschmack sicher nicht in Gefahr bringen! Stil steht eindeutig über Praktikabilität!

Zeit schlägt Stil, ist leider so

Nun, an und für sich würde ich das auch immer noch unterschreiben. Stil schlägt Funktionsjacke. Aber Zeit schlägt nun mal leider auch Stil! Was Kleidungsstücke angeht, mache ich also mittlerweile einige Kompromisse. Jeans und Pulli eben. Keine Funktionsjacken! Aber alles, was zeitaufwändiger ist, als alle drei Jahre eine neue Jeans zu kaufen oder mal schnell den immerhin noch ganz schicken Pulli überzuziehen, fällt absolut hintenüber.

Es gab ja Zeiten in meinem Leben, da hätte ich ohne getuschte Wimpern das Haus nicht verlassen. Diese hellblonden Härchen da, wonach soll das denn aussehen? Getuschte Wimpern öffnen den Blick, machen wach, lassen strahlen – so steht das doch in jeder Frauenzeitschrift. Ich war hörig, hielt mich an die modischen Grundsätze, denen eine junge Frau sich schließlich zu beugen hat.

Glücklicherweise bin ich jetzt alt. Zumindest alt genug, um hysterisch über mein altes Ich zu lachen. Da, auf dem Urlaubsfoto, keine 20 Jahre alt, komplett ungeschminkt mit hellblonden Wimperchen, sehe ich da etwa müde aus?! Außerdem weiß ich heute, dass ungeschminkte Augen wunderbar aussehen können. Besonders natürlich zu bunt bemalten Lippen.

Bisschen Farbe tut trotzdem gut

Diese Erkenntnis hat zuletzt mein Mutterleben bereichert, wie kaum eine andere modische Erkenntnis zuvor. Zwar gehe ich heute fast täglich mit einer äußerst angenehmen Gleichgültigkeit ungeschminkt aus dem Haus, aber es tut so gut, wenigstens hin und wieder ein bisschen Farbe ins Gesicht zu bringen. Ungeschminkte Augen, knallrote Lippen, und es macht Bam-da-dam! Also, zumindest innerlich.

Lippenstift habe ich innerhalb von Sekunden aufgemalt. Noch schnell das Klopapier küssen, einmal nachmalen, und fertig. Allein Wimperntusche aufzutragen erscheint mir in meinem heutigen Alltag als Zumutung: Erst 30 Sekunden Wimpernzange, dann tuschen, dann das andere Auge malträtieren, dann tuschen. Irgendwo ist immer drüber gemalt, also Entfernergedöns aufs Wattepad, vorsichtig weggerieben. Mist, mehr entfernt, als gewollt. Also wieder nachtuschen und am Ende noch mal mit der Zange, weil diese blöden Wimpern sich einfach nicht schwungvoll biegen wollen. 5 Minuten verschwendete Lebenszeit! Klingt blöd, aber die hab ich nicht.

Der nicht zu unterschätzende Vorteil eines solchen ungeschminkten Alltags ist ja, dass frau, sobald sie sich dann doch mal richtig aufbrezelt, einen ungeahnten Haufen an Komplimenten bekommt: „Woah, siehst du toll aus heute!“. Alternativ könnten die Freunde, Eltern und Kollegen an allen anderen Tagen auch einfach sagen: „Na, heute wieder hässlich wie immer?“. Aber mein Gott, wozu leben wir in einer Gesellschaft, in der es Sitten und Normen gibt?

2 Kommentare zu „Funktionsjacken-Mutti

  1. Kathi

    ? absolut herrlich. Ich habe mir kürzlich eine echt hässliche aber dafür natürlich totaaal praktische Regenhose mit passender Jacke gekauft. Die Kinder wollen einfach unverschämterweise bei absolut JEDEM Wetter nach draußen, und nasse Jeans sind leider echt eklig an den Beinen. Aber hey, ab Oktober arbeite ich wieder (bin Bankkauffrau) und da werde ich zumindest an drei Tagen in der Woche wieder gestylt sein.

  2. Katrin

    Liebe Sophie, danke für den schönen Artikel und überhaupt den schönen Blog! Meine Kinder sind etwas älter als Deine (7 und 4), aber ich lese Deinen Blog immer wieder gerne. Und zu den Funktionsjacken: also, es gibt da ja auch so schöne schwedische Firmen, z.B. Didriksons, die regenfeste Jacken herstellen, die meinem Geschmack nach durchaus ganz schön aussehen… – also solltest Du doch irgendwann mal den Wunsch nach einer Jacke verspüren, die bei Regen warm und trocken hält, wenn Du mit den Kindern oder auf dem Rad unterwegs bist, dann gibt es eine Antwort jenseits der Tatze;-)). Viele Grüße von einer nach sieben Jahren modisch wohl schon sehr abgestumpften Mutter;-).

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