Feindbild Verhütungsapp

Was haben Gynäkolog*innen und Wissenschaftsjournalist*innen gemeinsam? Sie haben ein neues Feindbild gefunden: Die Verhütungsapp! (Hier bedrohliche Musik einfügen). Diese Apps, von denen es mittlerweile einige gibt, scheinen den Damen und Herren sehr große Angst und sogar Wut zu bereiten. Denn: Sie sind einfach nicht sicher! So weit so gut, denke ich, Kritik an diesen Apps ist auch aus meiner Sicht durchaus gerechtfertigt. Was mich jedoch richtig fuchsig macht: Dass es wiederholt zu einseitigen und schlecht recherchierten Artikeln kommt, in denen natürliche Verhütung per se abgebügelt wird. Diesmal: Die Süddeutsche Zeitung.

Für Berit Uhlmann, Redakteurin des SZ-Wissenschaftsresorts, ist das Feindbild völlig klar: Die Verhütungs-App ist böse, ja sogar pseudofeministisch! Ihr schlecht recherchierter Artikel hat mich zuerst sprachlos gemacht – und dann hatte ich das große Bedürfnis, der Journalistin ein paar Dinge zu erklären. Was ich hiermit tue. Liebe Berit, das hier ist für Sie!

Ich möchte einige Ihrer Bemerkungen zitieren und auf ihren Inhalt genauer eingehen. Ich starte gleich mit dem ersten Zitat. In Ihrem Kommentar vom 19. Januar schreiben Sie:

„Verlässlich ist die Auswertung solcher Daten nicht, die Kalender- und Temperaturmethode gelten seit Jahrzehnten als obsolet.“

Dieser Meinung würde ich mich anschließen. Je nach Studie werden mit der simplen Temperaturmethode wohl bis zu 20 von 100 Frauen innerhalb eines Jahres schwanger (= Pearl Index von 20). Was Sie uns allerdings in Ihrem Artikel verschweigen (mit voller Absicht oder schlecht recherchiert?) ist die Tatsache, dass die Temperaturmethode seit langem erweitert wurde und „Natürliche Verhütung“ heutzutage für die allermeisten Frauen bedeutet, dass sie die symptothermale Methode nutzen. Wie genau die funktioniert, habe ich hier schon mal beschrieben.

Die symptothermale Methode ist mindestens so sicher wie die Pille

Die symptothermale Methode hat denn auch einen Pearl Index von 0,4 bis 0,6. Zum Vergleich: Die Pille wird mit einem Pearl Index von 0,3 bis 0,8 je nach Studie sogar als unsicherer eingeschätzt. Die von Ihnen genannte App „Natural Cycles“ unterstützt diese Methode in der Tat leider nicht, da es keine Eingabemöglichkeit für Auftreten und Konsistenz des Zervixschleims gibt. Sie hätten bei Ihrer Recherche (??) aber schnell erfahren können, dass es etliche andere Verhütungsapps gibt, die den Zervixschleim in die Interpretation des Zyklus einfließen lassen. Hier finden Sie einen guten Überblick über verfügbare Verhütungsapps, darunter auch die von mir genutzte App „Lily“.

Auch Stiftung Warentest kam zu dem Ergebnis, dass nur solche Apps sicher sind, die die symptothermale Methode verwenden. Testsieger war die App der Arbeitsgruppe NFP, die seit vielen Jahren wertvolle Arbeit leistet und eigentlich in keinem Text über natürliche Verhütung fehlen sollte. In Ihrem Kommentar findet sie leider keinerlei Erwähnung.

Weiter schreiben Sie:

„Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass ein roter Warnhinweis auf dem Smartphone per se noch keinerlei Verhütung darstellt. Schon gar nicht, wenn die Warnung wie im Falle von Natural Cycles manchmal den halben Zyklus lang aufleuchtet.“

Nun, hier weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Also, liebe Berit, beim Herunterladen Ihrer Verhütungsapp war Ihnen schon klar, dass diese keine Verhütung an sich darstellt? Also, dass Sie die Kondome, das Diaphragma oder womit auch immer Sie und Ihr Partner verhüten wollen, schon noch zusätzlich beschaffen müssen? Herje, was ist das nur für eine komplizierte Welt! Ja, ich verstehe Ihren Unmut. Und ich finde es auch zum Kotzen, dass die erste Zyklushälfte stets eine mögliche Schwangerschaft birgt. Wäre es nicht super, wenn der Eisprung direkt am Anfang meines Zyklus wäre, dann hätte ich ihn schneller überstanden und könnte gedankenloser vögeln! Ach nee, Moment, davor gäbe es ja trotzdem wieder eine unsichere Zeit. Ach Mensch, dieses elende Problem mit dem wiederkehrenden Zyklus!

Verhütung bedeutet: Selbst aktiv werden!

Aber nun mal ernsthaft: Ja, die App warnt Sie offenbar mit einem roten Farbton, dass Sie potentiell fruchtbar sind. Tun Sie also etwas! Oder von mir aus auch eben nicht. Keuschheit galt doch irgendwann sogar mal als Tugend! Ich will bloß sagen: Lassen Sie sich nicht ohne Gummi anbumsen, wenn Sie gerade keine Lust auf Nachwuchs haben, OK? Und wenn Sie sich ein kleines bisschen mit der weiblichen Natur beschäftigt hätten, wüssten Sie, dass die meisten Frauen einfach aufgrund der biologischen Gegebenheiten in der ersten Zyklushälfte davon ausgehen müssen, schwanger werden zu können. Der Eisprung steht noch bevor, Samenzellen sind zähe kleine Biester, unsere Körper lieben es, sich zu vermehren. Alles klar? Alles klar!

Wenn es Ihnen nicht gefällt, dass die App Sie deswegen warnt, tja nun, dann weiß ich auch nicht. Vielleicht nehmen Sie dann einfach wieder die Pille und unterdrücken diese ätzenden biologischen Vorgänge in Ihrem Körper. Oder Sie sorgen ganz einfach dafür, dass die Samenzellen Ihres Partners trotz Fruchtbarkeit Ihre Eizellen nicht erreichen. Es gibt da tatsächlich ein paar Möglichkeiten (auch schonendere als eine Vasektomie). Schonenden Methoden scheinen Sie aber ganz grundsätzlich eher nicht so zu vertrauen. Zumindest ahne ich das, wenn ich Ihren nächsten Klopper lese:

„Das alles wird gerne mit dem Versprechen der Natürlichkeit übertüncht: Die Verhütungs-Apps erscheinen dann als Befreiung von der garstigen Chemie, die die männlich dominierte Pharmabranche den Frauen aufnötigt.“

Oh ja, oh ja! Ich liebe Ihren Zynismus! Oder nennen Sie es schlagfertige Ironie? Wie auch immer. Ich möchte Ihnen trotzdem etwas verraten: Frauen, die natürliche Verhütung nutzen, „übertünchen“ gar nichts. Sie lernen einfach nur ihren Körper zu lesen und können dadurch auf die „garstige Chemie“ verzichten. Die ist nämlich für viele Frauen tatsächlich sehr garstig, auch wenn Sie das durch Ihren Sarkasmus an dieser Stelle wohl in Zweifel stellen wollen.

Die vielen Nebenwirkungen der Pille sind real!

Wenn Sie mal ein bisschen Zeit haben, lesen Sie doch gerne die Erfahrungsberichte von Frauen, die durch die Pille sogar schwer krank geworden sind. Oder Sie fragen einfach mal in Ihrem Freundeskreis nach: Wie viele Ihrer Freundinnen haben nach teils jahrzehntelanger Pilleneinnahme erst nach dem Absetzen gemerkt, wie viele „typische“ Frauenleiden oder „im Grunde unbedenkliche“ Beschwerden tatsächlich auf die Einnahme künstlicher Hormone zurückzuführen waren? Fragen Sie mal rum, das könnte echt interessant für Sie werden!

Und noch eine Sache zum Abschluss: Die Produkte der „männlich dominierten Pharmabranche“ werden erstaunlich oft von erschreckend weiblichen Gynäkologinnen ohne große Risikoaufklärung verschrieben – sogar an Teenager! Hier das Geschlechterfass aufzumachen ist also echter Unsinn. Kommen wir also nun zum dicken Ende Ihres „Kommentars“:

„Dieser pseudo-feministische Anstrich ist ein besonderes Ärgernis der Apps. Dass Frauen allein über ihren Körper und ihre Lebensplanung entscheiden können, bedeutet einen enormem Fortschritt auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung. Doch Unternehmerinnen, die diesen Gedanken für die Vermarktung unzulänglicher Produkte ausbeuten, gefährden ihn. Genauso wie Kundinnen, die gutgläubig allem anhängen, was irgendwie nach Kleinunternehmertum und Natürlichkeit klingt.“

Puh, das ist echt ein hartes Brett. Nach diesem Ihrem finalen Todesstoß möchte ich meinen Kopf am liebsten auf ein ebensolches hauen. Pseudofeminismus also. Soso. Welches kleine antifeministische Teufelchen hat Ihnen denn diesen Blödsinn ins Ohr geflüstert? Oder gehören Sie schlicht zu den alten 68ern, die doch damals so stolz auf ihre neue Errungenschaft Pille waren und einfach nicht verstehen können, warum, was so lange so gut war, jetzt nicht mehr gut sein soll? Sie sind einfach eine von den konservativen, Veränderungen liegen Ihnen nicht so, ist es das? Ich möchte es gerne glauben.

Feminismus ist, Frauen das Leben leichter zu machen

Denn wenn Sie ernsthaft der Meinung sind, neue Ideen und innovative technische Hilfsmittel wie Verhütungsapps würden alte Errungenschaften gefährden, dann schockiert mich das doch reichlich. Ambitionierte Versuche, es uns Frauen etwas einfacher zu machen, sollen also schlecht sein? Nur mal am Rande: Als ich als Studentin das erste Mal die symptothermale Methode testete, benutzte ich Vordrucke, Tabellen auf Papier, und kritzelte mit zitternden Händen windschiefe Grafen. Und ich finde es grundsätzlich total feministisch, dass es nun Unternehmer*innen gibt, die künstlerisch eher unbegabten Frauen wie mir diese Demütigung ersparen wollen und mir mit ihren Apps ein Hilfsmittel bieten, mit dem ich meinen Zyklus viel einfacher verfolgen kann!

Und damit wäre ich auch am finalen Punkt meiner Belehrung: Liebe Berit, wenn Sie erneut vorhaben, sich mit natürlicher Verhütung auseinanderzusetzen, beachten Sie bitte den wichtigsten Faktor: Ihren Kopf! Natürliche Verhütung bedeutet nämlich, den eigenen Körper ganz genau zu beobachten und seine Zeichen richtig zu deuten. Und genau das würde ich niemals allein einer App überlassen.

Verhütungsapps sind Hilfsmittel – und nicht mehr als das

In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen absolut recht geben: Es ist definitiv bedenklich, wenn Vertreiber von Verhütungsapps ein Urvertrauen in Algorithmen beschwören und eine absolute Verlässlichkeit suggerieren. Verhütungsapps können ein sinnvolles, praktisches und bequemes Hilfsmittel sein, ersetzen aber niemals das Mitdenken der sie benutzenden Frau. Und genau das sollte auch die ehrliche Marketingstrategie der App-Verteiber sein. Ich hätte es schön gefunden, wenn Sie diesen Aspekt in den Mittelpunkt Ihres Kommentars gestellt hätten. Als Wissenschaftsjournalistin sehe ich Sie sogar in der Pflicht, die „gutgläubigen Kundinnen“ ein bisschen an die Hand zu nehmen und ihnen zu erklären, warum sie sich trotz App mit den Funktionsweisen ihres eigenen Körpers vertraut machen müssen – und sich eben nicht gutgläubig auf ein technisches Hilfsmittel verlassen dürfen, das eben genau das nur ist: Ein Hilfsmittel!

Aber dazu hätten Sie ja zugeben müssen, dass natürliche Verhütung per se eine sinnvolle und funktionierende Angelegenheit ist. Und so weit sind Sie wohl noch nicht. Ich und tausende andere Frauen laden Sie herzlich dazu ein, es mal selbst zu probieren. Sie werden erstaunt sein, was Sie alles über Ihren Körper erfahren. Und wenn Sie wollen, dürfen Sie auch Stift und Papier benutzen, statt der gefährlichen App. Hier finden Sie einen Vordruck.

5 Kommentare zu „Feindbild Verhütungsapp

  1. Ein sehr schöner Gegenkommentar zu einem wirklich hirnlosen Artikel, danke dafür. Ich finde es ganz schlimm, wenn gerade Frauen mit Pseudoironie versuchen, neue Ideen und Wege schlecht zu machen, besonders wenn dann auch noch Feminismus oder Pseudofeminismus an den Haaren herbeigezogen wird.
    Bis jetzt habe ich die symptothermale Methode nur zum schwanger werden benutzt, das hat direkt geklappt und ich war wirklich faziniert von den Zeichen, die der eigene Körper ziemlich klar sendet, wenn man ihn lässt. NFP wird auf jeden Fall meine Verhütungsmethode sein.
    Vielen Dank nochmal für den fundierten und gut recherchierten Artikel.
    Jennifer

    • Gern geschehen! 😉 Ich habe den Text auch als Leserbrief an die Redakteurin gesendet, aber bisher keine Antwort bekommen. Mal schauen, ob da noch was kommt.

      Ich nutze NFP gerade gar nicht, weil meine Temperatut mit den ständigen Stillunterbrechungen eh spinnt. Aber wenn das Baby besser schläft, fange ich auch sicher wieder an. Bin gespannt, wie du mit NFP zurecht kommst, vielleicht magst du dann hier noch mal kommentieren? Würde mich freuen!

  2. Katharina

    Das ist ja grad mein Thema. Ich war nämlich auf der Suche nach einer brauchbaren App. Nicht zur Verhütung, mein Mann hatte eine Vasektomie, aber tatsächlich einfach um meinen Körper besser kennenzulernen und zu wissen wann ich mit meinen Tagen rechnen muss. Ich finde NFP sollte in die Lehrpläne der Mittelstufe. Es ist so erschreckend wie wenig Mädchen und Frauen über die Vorgänge im eigenen Körper Bescheid wissen. Ich selbst habe das alles erst NACH zwei Kindern gelernt. Ich finde die Pille gar nicht per se schlecht, aber die Aufklärung ist miserabel. Da wird jungen Mädchen bedenkenlos etwas verschrieben, oft noch mit dem Knallerargument der besseren Haut. Dass sie rauchen verschweigen die Mädels lieber, sie wollen die Pille schließlich unbedingt. Hätte ich eine Tochter müsste sie sich wohl von mir einige Vorträge dazu anhören ?

    • Da bin ich ja so was von deiner Meinung!! Das wäre vermutlich unfair, weil die Mädchen dann recht umfangreiche Hausaufgaben hätten und die Jungs nicht. 😉 Aber vielleicht könnte man das so lösen, dass die Mädchen nur messen und aufschreiben müssen und die Jungs müssen dann die Wert in einen Graf eintragen und das Ergebnis interpretieren. 😀 Ich schlag das gleich mal meiner besten Freundin vor, die ist nämlich Biologielehrerin an einem Gymnasium. 🙂

  3. Diana

    Danke für Deinen tollen Gegenbeitrag. Du sprichst mir aus der Seele! Ich verhüte seit Jahren mit der „längst überholten“ Temperaturmethode, und das erfolgreich! Wer mehr Sicherheit möchte, kann ja auch den Zervixschleim auswerten.
    Der arrogante, überhebliche und schlecht recherchierte Beitrag von Berit Uhlmann hat mich wirklich wütend gemacht! Die Pille kann nun mal auch sehr unschöne Nebenwirkungen haben, über die wir Frauen beim Frauenarzt kaum aufgeklärt werden. Es ist doch absurd, dass jungen Mädchen einfach die Pille verschrieben wird, ohne dass man sie darüber informiert, wie der natürliche Zyklus überhaupt funktioniert und welche Alternativen es gibt! Den Trend zur natürlichen Verhütung (mit welchen Tools auch immer) als pseudo-feministisch zu bezeichnen ist so was von daneben!
    Es wäre sehr interessant zu erfahren, ob Du noch eine Antwort der Redakteurin erhältst :).

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