Das Recht auf Nicht-Wissen (SSW14)

Ende der 14. Woche gab es bei meiner Ärztin viele gute Neuigkeiten: Das Hämatom ist so gut wie weg, das Baby hat fünf Finger, ein Gehirn und keine verdickte Nackenfalte. Äh, Moment! Letzteres wollte ich doch gar nicht wissen…?

In der 11. Schwangerschaftswoche wurde in meiner Gebärmutter ein Hämatom festgestellt. Die Blutansammlung lag zum Glück sehr günstig direkt oberhalb des Muttermunds, weit genug weg von der Plazenta, und konnte so gefahrlos abbluten. Meine Ärztin machte mir Mut, dass das alles halb so schlimm sei und sich sicher bald zurückbilden würde. Trotzdem sagte sie, sie müsse erwähnen, dass ein Hämatom in seltenen Fällen auf eine Genanomalie beim Kind hinweisen könne.

Meine Ärztin weiß, dass ich keinerlei pränataldiagnostische Maßnahmen wünsche. Da ich unter 35 Jahre alt bin, wäre ohnehin schon die Nackenfaltenmessung eine private Leistung, die ich selbst bezahlen müsste. Nun liege ich eines schönen Donnerstags also auf der Liege und lasse meine Gebärmutter schallen. Meine Ärztin kündigt an, etwas genauer zu schauen, da sie das nach Komplikationen immer so handhaben würde.

Ich habe nichts dagegen, denn die Bilder sind schön und spannend: Erst winkt mein Baby mir zu, dann sehen wir den Kopf von oben, mit beiden Gehirnhälften, die offenbar gut ausgebildet sind. Die Gliedmaßen sind auch alle dran und an einer Hand können wir sogar alle fünf Finger zählen. Das Herz schlägt kräftig und regelmäßig und dann sehen wir noch kurz den Magen, der erst mal nur Fruchtwasser verdauen muss.

Die ungewollte Untersuchung

Eigentlich wäre der große Ultraschall erst in der 20. Woche dran. Aber es fühlt sich gut an, nach den Sorgen der letzten Wochen mein Baby so im Detail zu sehen und mich zu vergewissern, dass alles Notwendige dran zu sein scheint. Aber dann sagt meine Ärztin: Ich gucke nur noch mal kurz nach der Nackenfalte. Und schwupps, da hat sie sie auch schon auf dem Bildschirm. Ich fange an zu stottern, dass ich das doch gar nicht wolle. Dass das wirklich nicht nötig sei. Dass eine Auffälligkeit für mich ohnehin keine Konsequenz hätte.

Aber meine Ärztin sagt nur, sie wisse das doch und sie habe gerade schon gesehen, dass die Nackenfalte unauffällig aussehe. Sie wolle nur noch mal ganz kurz drauf schallen. Das mache sie immer so, nach Komplikationen. Klar, denke ich, denn der Hinweis auf Gendefekte im Zusammenhang mit Hämatomen klingt mir noch im Ohr. Die Ärztin zeigt mir die Nackenfalte: Sehr schön dünn sei die, genau so wie es bei gesunden Babys sein soll. Alles super also?

Ich selbst aber weiß gerade gar nicht, ob ich das so super finden soll. Ich hatte nicht nur nicht um diese Untersuchung gebeten – ich hatte zuvor sogar meinen ausdrücklichen Wunsch geäußert, die Nackenfalte nicht zu beachten. Klar, wenn ich die Aussagen meiner Ärztin wohlwollend interpretiere, kann es gut sein, dass sie mich über Auffälligkeiten nicht informiert hätte, da sie wusste, dass ich das nicht wissen will. Aber auch das würde nichts an der Tatsache ändern, dass sie sich die Nackenfalte bewusst angesehen hat.

Darf die Ärztin sich so über meine Wünsche hinwegsetzen?

Darf eine Ärztin sich so über die Wünsche ihrer Patientin hinwegsetzen? Ich bin nach diesem Arztbesuch enttäuscht. Eigentlich hatte ich bisher einen sehr guten Eindruck von meiner Ärztin. Sie respektiert meinen Wunsch auf Hebammenbetreuung und dass ich nur zu den Ultraschalluntersuchungen zu ihr kommen will. Sie versicherte mir auch, mir keine Steine in den Weg zu legen, da ich eine Hausgeburt plane. Und insgesamt machte sie mir zu keinem Zeitpunkt Angst oder versuchte mich von irgendwelchen Zusatzuntersuchungen zu überzeugen. 

Ich finde das Vorgehen meiner Ärztin auch höchst seltsam. Mal angenommen, sie hätte Auffälligkeiten an der Nackenfalte registriert: Was hätte es ihr gebracht? Es war schließlich klar, dass ich darüber keine Auskünfte möchte und erst recht keine Konsequenzen daraus ziehen würde. Für den Mann und mich stand von Anfang an fest: Wir wollen uns nicht in die Maschinerie der Pränataldiagnostik begeben.

Mein Recht auf Nicht-Wissen

Wir wollen von unserem Recht auf Nicht-Wissen Gebrauch machen. Weil wir ohnehin nicht wüssten, was wir tun sollten, wenn sich irgendwelche Hinweise auf einen Gendefekt ergeben würden. Invasive Maßnahmen wie eine Fruchtwasser- oder Plazenta-Punktion kämen für mich kaum infrage. Und ein Spätabbruch erst recht nicht. Letztlich würden pränataldiagnostische Maßnahmen bei uns nur auf zwei Ergebnisse hinauslaufen: Entweder wir wüssten, dass unser Kind wahrscheinlich keinen Gendefekt hat. Oder wir wüssten, dass unser Kind vielleicht einen Gendefekt hat.

Wir wählen stattdessen Möglichkeit drei: Wir gehen optimistisch davon aus, dass unser Kind keinen Gendefekt hat. Und versichern uns im großen Ultraschall lediglich davon, dass alle Organe gut ausgebildet sind. Das reicht uns, um zu wissen, dass unser Baby nach der Geburt aller Wahrscheinlichkeit nach gut lebensfähig sein wird – was für eine Hausgeburt ohne sofortig verfügbare Intensivmedizin natürlich besonders wichtig ist.

Auch wenn es heute vielfältige Diagnostikmöglichkeiten gibt: Ich habe doch trotz allem ein Recht auf Nicht-Wissen! Die Übergriffigkeit meiner Ärztin überzeugt mich umso mehr davon, meine weitere Schwangerschaft mit möglichst wenigen Arztbesuchen zu planen.

Als ich an der Rezeption die nächsten zwei Arzttermine vereinbare, einen in der 22. und einen in der 37. Woche, ermahnt mich die Sprechstundenhilfe, doch bitte trotzdem an das wöchentliche CTG-Schreiben zu denken. Das sei ab der 36. Schwangerschaftswoche sehr wichtig und meine Hebammenpraxis möge das bitte durchführen. Ja, ja, sage ich. Und wir wissen ja alle, was „ja, ja“ eigentlich heißt, oder?

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13 Kommentare zu „Das Recht auf Nicht-Wissen (SSW14)

  1. Liebe Sophie,

    ich bin ganz deiner Meinung! Wir haben ein Recht auf nicht wissen – sogar per Gesetz. Darüber darf und sollte sich deine FÄ nicht hinwegsetzen. Das ist übergriffig und bevormundend. Beschwichtigende und gar abschwächende Aussagen von ihrer Seite machen es aus meiner Sicht nur noch schlimmer. Sie versucht ihren „Fehltritt“ zu relativieren. Das geht so nicht!

    Wir wollen und wollten nie pränataldiagnostische Untersuchungen – trotzdem haben wir sie schon einmalgemacht. Überredet zu etwas, dessen Ausmaß uns überhaupt nicht bewusst war.
    Darüber möchte – nein, muss ich noch schreiben! Dein Artikel gibt den Anstoß dazu! Hab viel zu lange dazu geschwiegen.

    Liebe Grüße
    Mother Birth

  2. Danke für deinen Artikel! Uns ging es ähnlich, wir hatten uns für den gleichen Weg entschieden aber meine Gynäkologin hat auf biegen und Brechen versucht mich dazu zubewegen eine Nackenfaltenuntersuchung vorzunehmen. Dabei gibt es keine genetische Vorbelastung in unseren Familien und wir 27 und 30 Jahre alt. Sie hat mich angefahren, ich sei eine Gefahr für mein Kind, wenn ich solche Untersuchungen nicht machen lassen würde. Wir haben dann die Ärztin gewechselt, aber im Laufe der Schwangerschaft ist es immer wieder vorgekommen, dass einfach Tests durchgeführt wurden ohne unsere Zustimmung, dass uns Angst um nichts gemacht wurde… Jeder Besuch endete mit Tränen und Ängsten. Am Ende war alles immer gut, ging denen ja nur ums ausschliessen, aber ich habe das Gefühl man hat mir meine Schwangerschaft madig gemacht mit diesem ständigen Ängste schüren. Das nächste Mal, lasse ich mich soweit es geht nur von Hebammen betreuen. Die haben nicht immer nur medizinische Gefahren im Kopf, sondern die Begleitung einer Schwangerschaft.

    • Das klingt ja richtig schlimm! Die ganzen Berichte von euch, die mich hier und über Facebook erreichen, zeigen leider in der Tat, dass solche Ärzt*innen keine Einzelfälle sind. Ich frage mich immer, ob die einem die ganzen Untersuchungen nur des Geldes wegen aufdrängen oder ob die wirklich so borniert sind, selbst fest daran zu glauben, dass sie der Schlüssel zur Gesundheit sind. Die Wahrheit ist ja aber: In den meisten Fällen kann man eh nichts tun außer abtreiben. Und dann ist man ja eigentlich erst die „richtige“ Gefahr für das Kind, oder? Diese Argumentation deiner Ärztin ist echt ein Witz. Gut, dass du gewechselt hast!

  3. Und was passiert, wenn ein „massiver Befund“ bei einem Kind diagnositziert wird? In dieser Situation war meine Gast-Autorin als sie zum „routinemäßigen“ Screening geschickt wurde. Weil „man das bei Zwillingen so macht“. Und plötzlich musste sie mit Worten wie „Spätabbruch in der 32. Woche“ jonglieren.

    Ich habe hier eine sehr berührende Geschichte und ich hoffe, dass es für dich OK ist, wenn ich sie hiermit verlinke: http://einerschreitimmer.com/praenataldiagnostik-es-gibt-da-einen-massiven-befund-bei-ihrem-kind/

  4. Liebende Mutter

    Guten Morgen,

    Auch ich finde das Vorgehen deiner Ärztin nicht korrekt und bin erschrocken, dass so viele Schwangerschaften in Angst, Tränen und Kämpfen gegen die Ärzte ausgefochten werden müssen.
    Mir erging es ähnlich. Auch wir wollten keine Nackenfaltentransparenzmessung. Nach dieser Entscheidung, die unser Arzt mehrfach versuchte zu ändern, war nichts mehr wie vorher.
    Er hat mich sehr schlecht behandelt, hat mir Angst gemacht und ich durfte auf keinen Fall zunehmen. Am Ende hat er meine Entscheidung trotz BEL mein Kind spontan zur Welt zu bringen, nicht akzeptiert. Das Vorgehen war zuvor mit der Klinik abgestimmt worden. Darauf hin wurde es noch schlimmer und er diagnostizierte eine Schwangerschaftsvergiftung, die ich aber nicht hatte.
    Ich hatte mich auf eine Schwangerschaft immer gefreut und nun war sie einfach schrecklich. Das Resultat ist dennoch, dass Beste was ich mir je erträumt habe 🙂

    • Was für ein grässlicher Arzt! Bei manchen Ärzten wundert es mich, dass sie überhaupt noch Patientinnen finden. Gerade unter den Hausgeburts-Müttern herrscht auch die Angst, dass Ärzt*innen Risiken erfinden, damit die Hebammen die Geburten nicht mehr durchführen können. Das ist auch eine Frechheit. Und oftmals ist es dann gar nicht so leicht, einen anderen Arzt zu finden, weil alle Praxen voll sind.

      Hast du dein Baby dann spontan in BEL bekommen können?

  5. Laura

    Ich bin sehr zufrieden mit meinem Gynäkologen, das vorweg. Wir wollten ebenso keine Pränataldiagnostik. Mein Arzt hat uns auch keine Untersuchung angeboten. Das finde ich schonmal sehr lobenswert. Allerdings hat er beim Schall in der 13. Woche (glaube ich) ohne Vorankündigung die Nackenfalte gemessen und als unauffällig befunden. Ich dachte zuvor das wäre eine Zusatzleistung. Es wäre schön gewesen wenn er vorher gefragt hätte. Natürlich waren wir erleichtert. Aber wenn es auffällig gewesen wäre, hätten wir es nicht wissen wollen.

  6. Lena

    Hallo,
    Ich bin selber ein vom Fach und von der Fraktion Nicht-Wissen-Wollen. Das ist eine ganz interessante Kombination, die es nicht so häufig gibt.
    Vorweg: ich finde das Vorgehen der Ärztin auch nicht korrekt. Sie muss deine Wünsche respektieren.
    Ich versuche trotzdem das ganze mal ein bisschen zu erklären. Die Nackenfaltenmessung für die man bezahlt und die Hinweise auf irgendwelche genetischen Auffälligkeiten geben soll, passiert unter Hinzuziehung genauer Tabellen mit Einbeziehung der Schwangerschaftswoche ggf werden bestimmte Blutwerte und das Alter der Mutter mit einberechnet und dann wird damit das Risiko für zB Trisomie 21 genau berechnet.
    Dass die Nackenfalte angeschaut wird gehört allerdings zu einem Stamdardultraschall dazu, weil sie nicht nur Hinweis für genetische Auffälligkeiten geben kann, sondern Kinder mit Herzfehler zB auch eine verdickte Nackenfalte haben können. Das heißt man würde dann beim Organultraschall sehr genau schauen.
    Nichtsdestotrotz darf die Ärztin sich nicht über deine Wünsche hinweg setzen. Da glaube ich, dass sie das garnicht als dringenden Wunsch erkannt hat. Im Umgang mit medizinischem Personal ist manchmal leider eine sehr deutliche Sprache notwendig: Klar, laut und deutlich: „ich möchte das nicht. Lassen Sie das bitte!“ Das ist aber in einer Situation in der man so überrumpelt wird sehr schwer umzusetzen. Man kann das üben. Ich bin mittlerweile ziemlich gut darin und mir werden fast alle meiner Wünsche erfüllt. Natürlich nicht immer gerne und man macht sich auch nicht immer beliebt, aber wenn es um so wichtige Dinge geht, muss man das eben in Kauf nehmen. Ich würde sie das nächste Mal noch einmal darauf ansprechen….
    Viele Grüße und Alles Gute

    • Danke dir, das sind sehr interessante Aspekte! Und bestätigt auch in etwa das, was ich als Laie mir bisher so zusammengereimt habe. Es handelte sich ja in der Tat nur um ein „mal eben schnelles drauf schauen“. Aber gerade weil ich ja nicht vom Fach bin, löst schon das Wort „Nackenfalte“ ein Sträuben in mir aus, weil ich ja klar kommuniziert habe, dass ich keine Messung will. Mit ein bisschen Erklär-Willen der Ärztin wäre das Ganze dann vermutlich angenehmer für mich gelaufen. Aber das kenne ich ja auch schon. Deswegen gehöre ich eigentlich ja schon zu den Patientinnen, die immer tausend Fragen stellen und nie mit einfachen Antworten zufrieden sind. 😉

  7. Ich war letzte Woche auch zum Ultraschall (bei 9+4), wegen des Hämatoms habe ich momentan alle 2 Wochen einen Termin, dann alle 4 Wochen.
    Für den Mann und mich war von vorne herein klar, dass wir a) keine Pränataldiagnostik machen wollen (keinerlei Risikogruppe, keinerlei medizinische Indikation, keinerlei Veränderung am Gefühl für unser Kind, egal was rauskäme und noch dazu eine hypochondrische Mutter, die eh wochenlang kaum schlafen konnte wegen der dämlichen Blutungen).

    Das hab ich auch so geäußert, dass wir verstehen, worum es geht und es dennoch nicht machen lassen werden. Nach der Untersuchung ließ mir mein Arzt dann noch eine Überweisung zum Pränataldiagnostiker ausstellen, und sagte, ich solle einfach einen Termin mit ihm ausmachen. Danke für’s Gespräch xD

  8. Pingback: Pränataldiagnostik? – Nein! Warum wir sie dann doch machten und was das mit uns machte… | motherbirthblog

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